Andrej Sannikow, weissrussischer Oppositionspolitiker

Foto: DER STANDARD/Newald
In den Demonstrationen gegen die Wahl sieht Andrej Sannikow den Beginn einer weißrussischen Revolution. Auch auf Russland sollte nun Druck ausgeübt werden, sagte der Menschenrechtsaktivist aus Minsk zu Julia Raabe.

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STANDARD: In Minsk haben tausende Menschen gegen das Wahlergebnis demonstriert. Haben Sie mit so viel Unterstützung gerechnet?


Sannikow: Wir hatten es gehofft. Jetzt bin ich sehr froh, dass sich die Hoffnung erfüllt hat. Ich glaube, die Entrüstung in der Gesellschaft ist ziemlich groß.

STANDARD: Was streben die Demonstranten an?


Sannikow: Gegen Diktatur zu protestieren, gegen die Situation, in der wir leben - und für Demokratie und Veränderungen. Es geht darum, den Diktator und das totalitäre System loszuwerden - es ist wirklich unerträglich.

STANDARD: Sehen Sie hier den Beginn einer weißrussischen "Revolution"?


Sannikow: Definitiv! Es ist nicht leicht vorherzusagen, wie es enden wird. Ob sie zerschlagen wird oder Erfolg haben wird - aber das ist definitiv der Beginn.

STANDARD: Was werden Sie machen, falls die Sicherheitskräfte Gewalt anwenden?


Sannikow: Ich glaube, es gibt genug Menschen und genug Kraft, um dieser Gewalt zu widerstehen. Selbst wenn die Demonstrationen von Gewalt unterbrochen werden, werden sie nicht aufhören.

STANDARD: Welche Strategie wird die Opposition in den nächsten Monaten verfolgen?


Sannikow: Das entscheiden unsere politischen Führer. Die Opposition muss sich nun konsolidieren und noch mehr Leute einbinden. Sie ist erstaunlich stark, wenn man die Situation und die Umstände in Betracht zieht, unter denen wir leben. Der Prozess, das totalitäre System zu stärken, wird weitergehen. Die Situation wird viel schlimmer werden - da muss man sich keine Illusionen machen.

STANDARD: Die EU überlegt Sanktionen gegen Weißrussland. Würden Sie das befürworten?


Sannikow: Ich würde sehr harte Maßnahmen gegen Weißrussland befürworten. Der Handel mit EU-Staaten ist in letzter Zeit sichtlich gestiegen. Es gibt also Länder, die erheblichen Druck auf Lukaschenko ausüben könnten.

STANDARD: Was sollten die EU und andere westliche Staaten außerdem tun?

Sannikow: Den G-8-Gipfel im Sommer in St. Petersburg infrage stellen. Weil Russland (das derzeit den G-8-Vorsitz hat, Anm.) eine Diktatur unterstützt. (DER STANDARD, Printausgabe, 21.03.2006)