Wien - In Berlin trug man sich mit dem Gedanken, ihn zu holen. Statt dort zu landen, wo jetzt Sir Simon Rattle ist - bei den Berliner Philharmonikern -, wurde Dirigent Mariss Jansons jedoch das Glück zuteil, sich zweiteilen zu können. Der Lette kümmert sich nun seit einem Weilchen um die Musikqualität des Amsterdamer Concergebouw Orchesters; und er ist gleichzeitig auch in München tätig, wo er das Symphonieorchester des Bayrischen Rundfunks betreut. Die Doppelbelastung sei für ihn keine, er habe, so Jansons, immer schon zwei Orchester gleichzeitig betreut. Oper ginge sich halt nicht mehr in dem erwünschten Ausmaß aus.

Mit dem Rundfunkorchester steht ihm ein sauber spielender Klangkörper zur Verfügung, der bei Haydns Symphonie G-Dur (Hob. I:94) auf eine sanfte Gangart eingeschworen wird. Das Werk wirkt wie aus Porzellan, lichtdurchflutet, die Linien schwirren elegant und unforciert durch die Gegend. Auch wo man ein derbes Stampfen erwarten würde, wird eher auf Zehenspitzen agiert. Alles klingt delikat, nur ein bisschen zu galant und schaumgebremst.

Nicht sicher

Mochte man hier noch einen Stilwillen als Urheber vermuten, so war man bei Gustav Mahlers 5. Symphonie nicht mehr ganz sicher, ob das Ganze nicht doch auch etwas mit den Grenzen des Orchester zu tun haben könnte.

Auch hier: alles sauber, klar und präzis vermittelt. Aber etwas steif wirkt doch der 1. Satz - wie ein zu eng sitzender Anzug; nur dort, wo dieses Werk als sanfte Grazie daherkommt, entfalten sich Emotionen, vermittelt durch eine tadellose Pianokultur. Ansonsten wirkt dieser Mahler - durch die schmallippige Phrasierung - ein bisschen sehr buchstabiert, gebändigt und domestiziert und so gar nicht in den Sphären des Fiebrigen angesiedelt.

Statt die ihm innewohnenden Kräfte freizusetzen, begnügt man sich mit einer adretten Nacherzählung. Schlecht kann man das nicht nennen. Aber jenes gewisse Etwas wollte nicht ausbrechen, auch wenn sich Jansons redlich und impulsiv darum bemühte. Mit jener Energie, die man beim Werk vermisste, wurde ihm danach allerdings gedankt. (DER STANDARD, Printausgabe vom 20.3.2006)