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2600 Kilometer lang und 1300 Kilometer breit, ist Grönland von einem kilometer-dicken Eispanzer bedeckt. Sollte dieser schmelzen, wäre ein Anstieg der Weltmeere die Folge.

Foto: AP/John McConnico
Hamburg - Immer wieder haben Forscher versucht, Grönland zu durchqueren. Viele mussten aufgeben, manche sind erfroren. Inzwischen erleichtern motorisierte Geländeschlitten die Erkundung der 2600 Kilometer langen und 1300 Kilometer breiten Landmasse, die zum großen Teil von einem kilometerdicken Eispanzer bedeckt ist.

Auch Flugzeuge und Satelliten liefern Daten aus der Eiswüste. Dennoch - in wissenschaftlicher Hinsicht scheint Grönland undurchdringlich wie eh und je, denn noch immer suchen Klimaforscher die Antwort auf die wichtigste Frage: Schmilzt der Eispanzer aufgrund der Klimaerwärmung? Ein gefährlicher Anstieg der Weltmeere wäre die Folge: sieben Meter, sollte das Eis komplett schmelzen.

Das Schicksal ganzer Inselnationen und von Küstenbewohnern auf allen Kontinenten entscheidet sich also in Grönland. Das Eis auf der größten Insel der Welt gehorcht keinem einfachen Gesetz. "Erderwärmung gleich weniger Eis" - damit lässt sich vielleicht der Rückgang der Gebirgsgletscher in den Alpen, Anden und asiatischen Massiven wie dem Himalaya zusammenfassen.

Negative Eisbilanz?

Doch in Grönland wie in der Antarktis müssen Forscher genauer hinschauen: Verschwindet an der Küste mehr Eismasse, als im Binnenland neu entsteht? Ist also die Eisbilanz negativ? Genauere Daten sind auch deswegen wichtig, weil große Mengen von Schmelzwasser im Nordmeer den Nordatlantikstrom hemmen könnten, der Westeuropa sein mildes Klima beschert. Die neuesten Ergebnisse verwirren jedoch: Forscher um Ola Johannessen von der Universität Bergen berichten, der Eispanzer Grönlands wachse großteils. Wissenschafter um Philippe Huybrechts vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven (AWI) hingegen warnen, Grönland verliere Jahr für Jahr mehr Eis.

Dieses Ergebnis bestätigten vergangene Woche zwei Amerikaner. Die beiden Nasa-Forscher haben herausgefunden, dass viele Gletscher Grönlands schneller meerwärts kriechen als früher. Mancherorts an den Küsten jedoch wächst das Eis, konstatierte Jay Zwally, Klimaforscher bei der Nasa.

Temperaturen

Auch bezüglich der Temperaturen scheiden sich die Geister: Manfred Stober von der Universität Stuttgart ortete seit 1991 eine kontinuierliche Erwärmung, amerikanische und dänische Forscher machen eine Abkühlung aus. Ein Trend sei bisher nicht auszumachen, resümiert daher das Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie. Das deckt sich mit der 2001 getroffenen Einschätzung des Weltklimarates IPCC: Er erklärte, der Eisschild Grönlands befinde sich ungefähr im Gleichgewicht. Vielen Forschern reichen bisherige, teils widersprüchliche Messergebnisse nicht, um sich ein fundiertes Urteil zu bilden. Der Grund für sie, sich überhaupt schon festzulegen, ist die Angst vor der Zukunft: Womöglich erlebt die Menschheit gerade den Anfang eines Prozesses, der sich beschleunigt.

Dieser Meinung ist Eric Rignot von der Nasa: Er glaubt, die Veränderung im Kriechen der Gletscher, die er soeben nachgewiesen hat, werde die beherrschende Reaktion des Grönlandeises sein. "Aber kein Modell, keine Vorhersage berücksichtigt das bisher", sagt er.

Wird diese Reaktion durch die zurzeit ungebremste globale Erwärmung ausgelöst, seien die Folgen für den Meeresspiegel und den Nordatlantikstrom unberechenbar. Europäische Forscher warnten schon vor zwei Jahren aufgrund von Computerrechnungen vor einer Katastrophe: Erwärme sich die Luft weltweit um drei Grad Celsius, könnte der gesamte Eisschild "unumkehrbar" abschmelzen. Der Meeresspiegel würde um sieben Meter steigen, allerdings im Laufe von Jahrhunderten. (Axel Bojanowski, DER STANDARD, Print, 17.3.2006)