Wien – Mitunter liest man über Hélène Grimaud, sie sei eine "Klavierdiva". Wenn man sie dann in flapsig schicker Aufmachung mit Riesenschritten zu ihrem Klavier marschieren sieht, würde man in ihr wohl eher eine Leichtathletin vermuten, die sich auf das Konzerthauspodium verirrt hat.

Spätestens nach dem ersten in Robert Schumanns Klavierkonzert genialisch und im spontan hergestellten Einvernehmen mit den Symphonikern auf die Hundertstelsekunde exakt hingedroschenen Akkord allerdings bestand auch nicht mehr der geringste Zweifel darüber, ob die fürs erste so unangepasst wirkende Dame an der richtigen Adresse ist oder nicht.

Wenngleich sich der Eindruck des Unangepassten im Verlauf des Konzertes keineswegs zerstreut hat. Allein Hélène Grimauds steife, beinah eingekrampft wirkende Handhaltung müsste jedem etablierten Klavierpädagogen vor Schreck die Haare zu Berge stehen lassen.

Die Emotionen, die sie auslöst, sind jedoch zum Glück anderer Natur. Schumanns Klavierkonzert hat Hélène Grimaud schon zweimal auf CD eingespielt. Der Grund für die Affinität zu diesem Werk dürfte in dessen rhapsodischem, emotionell stetig oszillierendem Charakter liegen, dessen häufige Stimmungswechsel Grimaud, gleich einem Blatt in den Stürmen der Gefühle sich windend und drehend, auch gestisch nachvollzieht.

Und denen sie selbstverständlich auch mit frappierend klarer Selbstverständlichkeit und dynamisch ungemein treffsicher intensivsten Ausdruck verleiht.

Doch ein Partner macht noch keine Partnerschaft. Wohl hat Hélène Grimaud auf die von den Symphonikern angebotene Präzision, deren romantisch dunklen Farbenreichtum und deren emotionale Geschmeidigkeit bestens reagiert, doch das Feuer der Solistin sprang zu selten auf das Orchester über.

Unklarer Dialog

So kam es zu Temperamentsdifferenzen, unter denen leider auch der emotionale Kern dieses Werkes, die melodische Zwiesprache zwischen den Celli und dem Soloinstrument, nicht von jener berückenden intimen Klarheit war, wie sie an dieser Stelle möglich und angebracht wäre.

Das mag vielleicht auch am Dirigenten des Abends, David Zinman, seines Zeichens langjähriger und erfolgreicher Chefdirigent des Zürcher Tonhalle-Orchesters gelegen sein. Seine dirigentische Intention dürfte sich vor allem darauf konzentriert haben, den Wildfang am Klavier und das Orchester strikt zu koordinieren. Die kollektive Ekstase dürfte nicht ganz seine Sache sein.

Das wurde nach der Pause auch im Verlauf von Gustav Mahlers erster Symphonie spürbar. Dieses programmmusikalisch befrachtete Werk – Mahler gab vorübergehend den Titel Der Titan – lebt geradezu von und in emotionellen Extremen, die unter Zinmans etwas gehemmt wirkender Leitung nie so ganz ausgespielt wurden. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17.3.2006)