Cover: Süddeutsche Discothek
In der Popmusik liegt ewige Wahrheit. Nur welche? Diese Woche betrachten wir "Nightshift" von den Commodores.

Au weia, die Arbeitszeit. Ein brisantes Thema, durch den Tarifkonflikt im öffentlichen Dienst gerade erst wieder hochgekommen. Klar ist: Wir alle wollen kürzer, müssen aber länger, und zwar nicht nur 18 Minuten pro Tag, sondern bald zusätzliche Stunden, Tage, Jahre, bis wir bucklig und krumm sind wie unsere Vorfahren und unmittelbar nach Erreichen des Rentenalters in die Grube fahren.

Die erst vor wenigen Jahren ausgerufene Freizeitgesellschaft hat sich durch die Hintertür verzogen und den Feierabend gleich mitgenommen, inzwischen sind wir rund um die Uhr erreichbar und immer im Dienst, auch in bislang dem Nichtstun vorbehaltenen Zeitabschnitten wie der Nacht, in denen früher nur bemitleidenswerte Gestalten wie Krankenschwestern, DJs und Gefängniswärter arbeiten mussten. Eine Ahnung dieser Entwicklung enthält "Nightshift", veröffentlicht 1984, als hier um die 35-Stunden-Woche gekämpft wurde. Allerdings wird die Nachtschicht hier nicht als Folterinstrument der Bosse gegeißelt, sie erscheint als angenehmer Zeitvertreib, bei dem säuselnde Musik die Sinne betört und die Arbeitskräfte – es werden die Sänger Jackie Wilson und Marvin Gaye genannt, Krankenschwestern und Gefängniswärter aber ausgespart – ganz bei sich selbst sind.

Und wenn man ein paar Überstunden machen muss, ist das nicht weiter schlimm: "Gonna be a long night, it's gonna be all right on the nightshift" ("Es wird eine lange Nacht, aber das ist in Ordnung auf der Nachtschicht"). Was in den wohlhabenden Achtzigern wie Propaganda des Arbeitgeberlagers wirkte, hat sich inzwischen als realistische Zustandsbeschreibung herausgestellt: Wer sich nicht freudig dafür bedankt, noch länger an seinem herrlichen Arbeitsplatz verweilen zu dürfen, könnte diesen schnell verlieren. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17.3.2006)