Götterdämmerung im Regenwald: Angkor Wat rückt mehr und mehr ins Blickfeld der touristischen Massenströme.

Foto: Andrea Starl
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Später, wieder daheim, zeigten sich die echten Weltenbummler fassungslos – weil die, welche überall schon waren, bevor Normalsterbliche auch nur von diesem Ziel gehört haben, ganz woanders gewesen sind: Nicht nur das Präfix "Vierstern-" irritierte sie: Der Begriff "Hotel" wäre absurd, erklärten sie, weil es in Siem Reap doch nur Herbergen gebe – bescheidene Herbergen. Oder eben: gegeben hat. Damals. Und dass es im kambodschanischen Dschungel mittlerweile sogar Haubenrestaurants (australisch, das nur nebenbei) gibt, wollen die Vor-dem-Trend-Weltenbummler nicht glauben. Und auch nicht wissen.

Genauso wenig wie, dass man in Angkor Wat heute längst nicht mehr auf schmalen Dschungelpfaden und -wegen (gesäumt von "Danger! Mines!"-Schildern) mit dem Tuktuk dahinzuckelt: Der Abenteuertourist von heute klappert den Tempelbezirk von Angkor Wat auf breiten, asphaltierten, schnurgeraden und von Alleebäumen gesäumten Straßen ab. Immerhin: Per Tuktuk – aber es gibt auch (natürlich vollklimatisierte) Limousinen.

Das – sind an dieser Stelle all jene entsetzt, die schon vor zehn Jahren zu den mutmaßlich vergessenen, verwunschenen und überwachsenen Dschungeltempeln getrieben fuhren – sei unfassbar. Unglaublich. Und schrecklich. Weil die Anmutung von Wildheit, Unberührtheit und Unerschlossenheit doch Kern, Herz und Seele all jener Träume und Erzählungen sind, die seit dem 19. Jahrhundert unter dem Kapitel "Abenteuer" firmieren: Die Settings und Drehbuchgrundideen zu Indiana Jones, Lara Croft oder Quatermain kommen doch hierher. Das sieht und spürt, wer einmal durch die verfallenen und überwucherten Anlagen im Urwald getrampt, geklettert oder gestolpert ist. Und all das, das ganze Abenteuer, soll jetzt unter den Flipflops der globalen Neckermänner der Ersten Welt breit- und niedergetrampelt werden?

Das mit dem Niedertrampeln ist wörtlich zu verstehen

Nicht ganz. Noch nicht ganz. Aber das mit dem "Niedertrampeln" ist trotzdem wörtlich zu verstehen: Im August 2005 verlautbarte die Verwaltung der Tempelanlage, dass man ernsthaft überlege, Besucher nur noch mit speziellen Überzieh-Schuhen in das touristische Kerngebiet rund um Angkor Wat zu lassen. Wie und wann diese Maßnahme realisiert werden soll, ist offen. Aber vor Ort, angesichts der von angreifend-drüberstreichenden Touristenhänden an manchen Stellen sogar wegpolierten Fresken, scheint das dann gar nicht mehr so absurd.

Dabei war schon das Entdeckergefühl der modernen Prä-Massentouristen nur geborgt. Denn die zwischen dem 8. und 12. Jahrhundert von kambodschanischen Herrscherdynastien auf über 300 Quadratkilometern errichteten Tempelanlagen waren schon in der zweiten Hälfte des vorletzten Jahrhunderts der Stoff, aus dem (Reise-)Abenteuer sind: Nachdem die Khmer-Könige 1219 aufgehört hatten, den zahllosen Tempeln (wie viele Anlagen genau im Dschungel versteckt sind, weiß man bis heute nicht) weitere hinzuzufügen, dauerte es noch 200 Jahre, bis die Tempel (der größte hat Außenmaße von drei mal drei Kilometern) wieder im Dschungel verschwanden: Siam (heute: Thailand) verleibte sich Teile Kambodschas ein, die Khmer-Herrscher verlegten die Hauptstadt nach Phnom Penh.

Die wenigen in der Region verbliebenen Bauern nutzten die Tempel weiter, konnten den Urwald aber nicht daran hindern, sich binnen weniger Jahre zurückzuholen, was man ihm über Jahrhunderte mühsam abgerungen hatte: Angkor wurde vergessen. Denn obwohl die Khmer präzise gehauene und opulent verzierte Bauten errichten konnten, kannten sie kein dauerhaft haltbares Schreibmaterial.

--> Erst 1864 entdeckte der Westen die geheimnisvollen Bauten

Erst 1864 entdeckte der Westen die geheimnisvollen Bauten

In Briefen portugiesischer und niederländischer Händler und Missionare tauchten zwar später immer wieder sagenumwobene Tempel auf – aber erst als 1864 die Tagebücher des französischen Forschers Henri Mohout veröffentlicht wurden, entdeckte der Westen die geheimnisvollen Bauten. Seither hält die Magie der teils monumental-megalomanischen, teils fast wie verspielt-liebliche Miniaturen dieser großen Anlagen wirkenden Tempel ungebrochen an.

Aber auch wenn die Wurzeln der Urwaldriesen sich zwischen die Steinblöcke gruben und Hallen, Gänge und Türme einstürzen ließen, ging und geht die wahre Gefahr für ganz Angkor (eigentlich heißt nur der bekannteste Tempel so) vom Menschen aus: Kolonisatoren, Besatzer (Thais oder Vietnamesen), Regime (Pol Pots Rote Khmer) und Bürgerkriegsparteien plünderten ungeniert und – oft – ungehindert.

Und auch wenn es offiziell natürlich nicht so ist, floriert in Bangkok bis heute der Handel mit Fresken und Figuren aus Angkor: Obwohl die Tempel streng bewacht werden, soll es möglich sein, Skulpturen nach persönlichem Geschmack zu bestellen. Und dass die Räuber nicht zimperlich sind, erzählen die (staatlichen) Wächter vor Ort: Es sei erst ein paar Jahre her, dass sie das letzte Mal mit Raketenwerfern und Maschinengewehren beschossen wurden – und tonnenweise nationale Heiligtümer abtransportiert wurden – auch in Armeefahrzeugen. Die Frage "Welcher Armee?" bleibt unbeantwortet.

Tempelwächter meinen es ernst

Dennoch – oder gerade deswegen – nehmen die Tempelwächter ihren Job dort ernst, wo es geht: Ohne Karte – zum für lokale Verhältnisse geradezu unfassbar hohen Tagespreis von 20 US-Dollar – sollte man sich keinem Tempel nähern. Und auch wenn man dann problemlos fast überall raufklettern oder hingreifen kann, ist es wenig ratsam, auch nur den kleinsten Kiesel aufzuheben oder gar einzustecken: Ja, auch und gerade weil beim Wandern durch und über die 21 (bisher) freigelegten Anlagen in der näheren Umgebung von Angkor der Eindruck entsteht, dass hier Kulturschätze unbeachtet am Boden herumliegen, bei deren (Einzel-)Anblick jeder Museumsdirektor eine Gänsehaut bekommt.

Doch den kleinen, ehrfürchtigen Schauer der individuellen Entdeckerfreude können nicht einmal die Kohorten und Legionen von Touristen aus aller Welt zunichte machen – und das liegt nicht nur an den gigantischen Ausmaßen der Anlage: Auch wenn da 2000 Japaner, Australier, Kanadier und Norweger dicht an dicht um drei Uhr früh auf den Sonnenaufgang über den charakteristischen Türmen von Angkor warten, verwandelt sich das babylonische Geschnatter angesichts der majestätischen Silhouette, die da aus Dschungel und Dunkelheit herauswächst, in stummes, großäugiges Staunen.

Dauerhaftigkeit und Dimensionen

Und wenn der Blick vom 67 Meter über den Regenwald ragenden Phnom Bakheng über die beiden "Barrays" – zwei im Dunst verschwindende, gigantische (jeweils über sechs Kilometer lange) Wasserbecken – schweift, von denen heute niemand genau weiß, wofür sie eigentlich errichtet worden waren, verdrängen Dauerhaftigkeit und Dimensionen mit Lockerheit die Unzahl von Menschen, die da gerade ebenfalls die steilen Treppen hinaufgekeucht sind: Staunen reduziert. Es macht klein.

Außerdem gibt es das echt "abenteuerliche" Angkor ja doch. Noch. Denn je weiter man die ausgetretenen (asphaltierten) Pfade hinter sich lässt, umso authentischer wird das Abenteuer: Nach einer etwa vierstündigen Autofahrt über Schlaglochpisten landet man etwa in Banteray Chmar – und wer auf einem schmalen Fußpfad zwei Mal nach links abbiegt und eine kleine Böschung hinaufklettert, merkt plötzlich, dass das keine Böschung, sondern eine vollständig überwucherte, alte Tempelmauer ist. Statt Tuktuk-Motoren zwitschern und summen Vögel und Insekten. Statt nach Benzin und Menschen riecht es nach Dschungel, Schwüle und Feuchtigkeit: Endlich wirklich Entdecker, Eroberer, Forscher, lacht da das immer Kind gebliebene Herz.

Und wenn dann, ein paar Monate später und wieder daheim, Freunde erzählen werden, dass ihnen genau hier, mitten in dieser doch so unerforschten Wildnis eine ganze Busladung deutscher Pauschaltouristen begegnet sein wird, wird das wehtun. Richtig wehtun. Denn die Masse sind schließlich immer nur die anderen.

Angkor Wats benachbarte Stadt, Siem Reap, ist touristische Boom-Zone und längst auf die Bedürfnisse europäischer Komforttouristen eingestellt.

Anreise:
Eva Air fliegt dreimal wöchentlich nonstop Wien-Bangkok. Bangkok Airways bietet mehrmals täglich
Anschlussflüge nach Siem Reap.
Ab 802 Euro.

Beratung:
www.eastlink.at.
(Der Standard/rondo/17/03/2006)