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Hélène Grimaud

Foto: APA/ J Henry FAIR / DG
Hélène Grimaud zählt zu den gefragtesten Pianistinnen

der Gegenwart. Nicht zuletzt wegen des von ihr gegründeten Wolfsgeheges umgibt sie die Aura des Extravaganten.

Am Donnerstag ist die in Berlin lebende Französin noch zu Gast

im Wiener Konzerthaus.


Wien – Hélène Grimaud ist von genuiner Extravaganz. Weil sie aus Aix-en-Provence stammt, ist ihr Vorname mit Akzenten gespickt. Im Gespräch bevorzugt sie jedoch das Englische, obwohl sie neuerdings in Berlin lebt.

Nach Studien am Pariser Konservatorium und später bei Dmitri Bashkirow ist auch die steile Karriere der 36-jährigen Starpianistin nicht frei von extravaganter Eigenwilligkeit. Der Grund für diese liegt nicht allein in ihrer Affinität zu Wölfen, die sie im Jahr 1999 gemeinsam mit dem Fotografen J. Henry Fair in Westchester County, NY, das Wolf Conservation Center gründen ließ, um dieser bedrohten Tiergattung einen artgerechten Lebensraum zu sichern.

Fern vom Trampelpfad

Auch ihre Sympathie und Bewunderung für Künstler wie Gidon Kremer oder Martha Argerich hielten sie vom Trampelpfad der landläufigen Karrieren fern.

Dennoch musizierte sie mit fast allen bedeutenden Orchestern der Welt, kaum ein Dirigent, mit dem sie nicht schon zusammengearbeitet hat.

Im Vorjahr musste sie ihre Österreich-Termine krankheitshalber absagen. Gestern spielte sie, und sie ist auch heute im Konzerthaus mit den Symphonikern unter David Zinman als Solistin in Robert Schumanns Klavierkonzert zu hören. Entsprechend groß ist das Interesse.

Unterwegs zu Hélène Grimaud trifft man auf den Kollegen von der Kronen Zeitung.‑ Er ist schon auf dem Retourweg. "Na, wie war's?" – "Sie sprudelt." An der Tür zu ihrem Zimmer wehrt ihr Betreuer höflich den Zutritt. Noch sitzt nämlich ein Kollege vom Kurier am Sprudel.

Dann ist schließlich DER STANDARD an der Reihe. Also der nächste Herr, dieselbe Dame. Zunächst fühlt man sich beinahe ein wenig gehemmt, dieses fragile Wesen jetzt auch noch als Dritter mit Fragen zu malträtieren. Doch sie wirkt völlig unermüdet. Im Gegenteil, sie wirkt überwach und trotzdem voll unaufgeregter Freundlichkeit.

Interviews machen ihr gar nichts aus, sprudelt sie auf Englisch. Im Gegenteil. Sie machen ihr sogar Freude. Denn ein jedes hat seine unverwechselbare Architektur.

Eine solche Ansage wirkt alarmierend. Sieht sich doch plötzlich auch der Fragende auf dem Prüfstand. Also weg mit allen Banalitäten. Man verkneift sich auch die Frage nach ihrem Wolfsgehege. Obwohl die Rede dann doch auch auf die Tiere kommt – und zwar auf dem Umweg über die Funktion der Musik.

Musik bedeutet für Hélène Grimaud die Verbindung mit der Welt hinter den Dingen. Sie ist die Sprache, die keine Wörter braucht. Sie funktioniert jenseits des Intellekts. Sie schließt nicht nur den Kontakt zum Unbewussten und Irrationalen, sie stellt vor allem auch die Verbindung zum Publikum dar. Und ob diese Verbindung funktioniert oder nicht, das fühlt Hélène Grimaud schon nach wenigen Takten.

Unbewusste Kontakte

Ähnlich wichtig ist für sie freilich auch der Kontakt zum Dirigenten und zum Orchester, dem sie im Falle der Wiener Symphoniker schon nach den Proben und vor dem ersten Konzert ein glänzendes Zeugnis ausstellt.

All diese Kontakte ergeben sich über die Antennen des Unbewussten. Um über diese zu senden und zu empfangen, sei es jedoch notwendig, sich innerlich zu öffnen, sich in einen Zustand zu versetzen, der auch für den Umgang mit Tieren, für die Zwiesprache mit ihnen und für das Verständnis ihres momentanen Befindens und ihrer Intentionen unabdingbar ist.

Das ist freilich ein Zustand jenseits der totalen intellektuellen Kontrolle, in dem sie sich auf riskante Weise während des Spiels befindet.

Dass sie in diesem emotionalen Ausnahmezustand, in dem sie sich dann befindet, plötzlich die Übersicht verliert, nicht weiterweiß, wie man im Fachjargon sagt, "aussteigt", befürchtet sie nicht. Denn für sie ist stets das ganze Werk präsent. Alles ist gleichzeitig vorhanden. Das, was sie schon gespielt hat, und das, was sie noch zu spielen hat.

Da kommen keine Zweifel auf. Es sei denn, sie hat einen "bad day", an dem es ihr nicht gelingt, sich in diesen Ausnahmezustand zu versetzen

Völlig stimmig zu ihrer Auffassung von Klavierspiel ist auch ihre Reaktion auf die Frage, wie es denn kam, dass sie zu dem wurde, was sie heute ist, wann sie sich entschlossen hat, Pianistin zu werden. "I didn't decide anything, it happened." (Ich habe nichts entschieden, es hat sich ereignet.)

Auf ähnliche Weise scheint sich auch ihr Repertoire "ereignet" zu haben, in dem eine gewisse Dominanz der Romantik, und dies auch in deren eher als anrüchig geltenden Varianten, unübersehbar ist. Neben Brahms, Schumann und Chopin findet sich nämlich auch Rachmaninow. Hélène Grimaud bekennt sich auch zur Romantik, verweist aber zudem darauf, dass für sie auch manches von Bach schon zur Romantik zählt.

Und wie hält sie es mit der Moderne? Sie kann auf Uraufführungen von Arvo Pärt verweisen, spielt auch John Coriglianos Fantasia on an ostinato, hat Bartók im Repertoire und hält grundsätzlich viel von Auftragswerken, die in Zusammenarbeit mit ihr entstehen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16.3.2006)