Turin - Fußballfans und andere Enthusiasten des Sports seien, so einstmals Brecht, das ideale Publikum: jeder Zuseher ein Fachmann, ein Profi im Innersten seiner liebenden Seele - und seines vom Leben malträtierten Körpers.

Die Gegenwart erzwingt im Theater indes vollkommen andere Fertigkeiten: Den Profi beweist die Kunst des geräuschlosen Sitzschlafs - oder der Platz mit Fluchtweg.

Beides war gefragt in dem Zyklus, den Italiens (Alt-)Star-Regisseur Luca Ronconi in Turin im Rahmen des olympischen Kulturprogramms auf die Bühnen des Teatro Stabile bastelte. Domani ("Morgen"): Unter dem zukunftsfrohen Titel befleißigte sich Ronconi mit 300 Mitarbeitern und einem Sonderetat von 7,5 Millionen Euro - eine Summe, für welche nicht nur, aber vor allem in Berlusconis rauchfreiem Italien manches Haus Jahre zehren muss - der edlen Mühe einer szenischen Befragung der Gegenwart in fünf Teilen und 24 Stunden.

Das Ergebnis enthüllte sich freilich als Tribut an die eigene Vorvergangenheit - zumindest in theaterästhetischer Hinsicht. Shakespeares Troilus und Cressida und Edward Bonds neunstündige Lehrstück-Trilogie Akte des Krieges suchten in Gummimasken und Ritterrüstung nach den Ursprüngen des Unfriedens.

Das Schweigen der Kommunisten monologisierte in erlesen armem Ambiente Gedanken dreier italienischer Altlinker nach Gegenwart und Zukunft der Bewegung. Der Spiegel des Teufels schließlich setzte einen veritablen Lehrtext der Ökonomie von Giorgio Ruffolo mit 50 Akteuren in die Gänge eines Supermarktes - samt Adam und Eva beim Erlernen des Salatanbaus. Und Biblioteca - der Abend servierte in kleinen schwarzen Boxen Happenwissen zu Hirntod, Klonen, Euthanasie.

Morgen? Steht eines fest: kein Theater. (DER STANDARD, Printausgabe, 15.03.2006)