Das "Schweigen der Kommunisten": eine der fünf Inszenierungen Luca Ronconis zu den Olympischen Spielen, nun zu sehen bei der Verleihung des X. Premio Europa.

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Danach widmete sich u. a. Jeremy Irons rezitierend dem Werk des Dramatikers.


Turin - Die Socken Arthur Millers haben es zum literarischen Dokument gebracht. Harold Pinter, der Mitte der 80er-Jahre als Vizepräsident des englischen P.E.N.-Clubs in die Türkei reiste und dort nach einem Kofferverlust auf wenige der, wie man sich denken kann, vorzüglichen Paare seines US-amerikanischen Berufskollegen eingeladen wurde, erhob sie zum Titel einer Kurzprosa.

In Arthur Miller's Socks - in Turin rezitiert von einem hinter mächtigem Kapitänsbarthaar versteckten Jeremy Irons - beschreibt er nicht nur die freundschaftliche Kleiderteilung, sondern vor allem die Reaktion auf die von ihm vor Ort standhaft geübte Kritik an den Menschenrechtsverletzungen in türkischen Gefängnissen: den Rauswurf aus der amerikanischen Botschaft in Istanbul. "Einer der stolzesten Momente in meinem Leben", quittiert Pinter, der nicht nur in seiner großteils von der (britischen) Öffentlichkeit ignorierten Nobelpreisrede seinem Ruf als politischer Autor nachkam, sondern das auch im Zuge der Verleihung des Europäischen Theaterpreises am Sonntag in Turin bewies.

In seiner von Standing Ovations eingerahmten Dankesrede im ehrwürdigen Teatro Carignano rief der zuletzt schwer kranke Dramatiker ein Europa an, das sich zusammenschließen und endlich gegen die US-amerikanische Allmacht aufstehen möge.

Heftiger Applaus von Theatermachern, Kritikern und Hunderten anderen internationalen Gästen, die zu dieser zehnten Ausgabe des Premio Europa per il Teatro - nach der bisherigen Austragungsstätte Taormina zum ersten Mal nach Turin - gereist waren. Möglich gemacht hat dies vor allem Regisseur Luca Ronconi, der den Premio an die Kulturolympiade angekoppelt hat (vgl. Artikel unten).

Detail am Rande: Harold Pinter wurde vor dem Anruf des Stockholmer Nobelpreiskomitees ("Mr. Pinter, you have won the Nobel Prize" - "Thanks") für den Premio nominiert, und dass er dieser Preisverleihung in Turin nun, was im Vorfeld vielfach bezweifelt wurde, doch beiwohnte, ist auch eine Reminiszenz an ein Theater, das Teatro Stabile, dessen Intendanz er in den 90er-Jahren ausgeschlagen hatte.

"Pinter hat die Regeln des Dramas neu geschrieben", so der brillante Pinter-Biograf, Guardian-Kritiker und Premio-Jurymitglied Michael Billington als Begründung für den Europapreis.

Geschäfte machen

Beim Premio feiert sich das Theater selbst. Da treffen Festivalleiter, Regisseure, Dramaturgen, Organisatoren und Kritiker aufeinander. Da werden, wie auf anderen Kongressen, Bande geknüpft und Geschäfte gemacht. Und wenn ein Verleger beim Buffet zufällig an die Gabel eines Cricket-Freundes von Pinter stößt, so gibt er die Funghi gern für ein künftiges Vorwort ab.

Die durch die vielfachen Sprachbarrieren vergleichsweise wenig vernetzte Kunstform des Theaters hat im Europapreis ein Mittel zum Austausch und zur Aufwertung gefunden. Der vor genau zwanzig Jahren gegründete und stets mit berühmten Trägern wie Peter Brook, Heiner Müller oder Ariane Mnouchkine verbundene Preis konnte aufgrund finanzieller und angeblich politischer Gründe nur in unregelmäßigen Abständen ausgetragen werden.

Der mit 60.000 Euro dotierte Hauptpreis ist nur der schillernde Gipfel der von öffentlichen Kolloquien und internen Sitzungen markierten fünftägigen Veranstaltung. Neben Pinter gingen die mit je 20.000 Euro dotierten Preise für Neue Realitäten des Theaters an den Litauer Oskaras Korsunovas sowie an den in Paris lebenden serbisch-montenegrinischen Regisseur Josef Nadj.

Im Kontext der zweifelsfrei ehrwürdig besetzten, aber doch allmählich an Überalterung leidenden Podien und Gremien ist dies ein Zugeständnis an eine nachfolgende Generation eines neu gemischten Europas. Die nach Turin mitgebrachten Arbeiten ließen künstlerisch aber doch sämtliche Wünsche offen. Die vom französischen Grandseigneur Roger Planchon verantwortete Abmischung von Pinter-Kurzdramen war gar ein hundertprozentiger Irrtum.

"Wir sind kein Theaterfestival", gibt der Premio-Generaldirektor Alessandro Martinez im STANDARD-Interview zu bedenken, "hier wird über Theater geredet und diskutiert. Wir können nicht an fünf Tagen des Beste von Europa zeigen." Ob und wo der Europäische Theaterpreis nächstes Jahr ausgetragen wird, ist noch offen. "Wir haben verschiedene Aussichten, aber ich weiß es bis jetzt wirklich nicht". (DER STANDARD, Printausgabe, 15.03.2006)