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Foto: AP/RICHARD LAM
Dumpfe Trommeln über dem Ozean, indianische Klagelaute in der kalten Luft. Der Grabgesang der Ureinwohner vom Stamm der Mowachaht-Muchalaht galt "Luna", dem mythischen Killerwal.

Die Stammesangehörigen hatten sich am Montagabend am Hafen von Gold River versammelt, einem kleinen Dorf an der Westküste von Vancouver Island. Hier hatte der verwaiste Orca fünf Jahre lang gelebt.

Sechs Jahre alt

Und hier ist der Wal, der als Baby aus unerklärlichen Gründen von seiner Herde getrennt worden war, am vergangenen Wochenende auch umgekommen. Die Schiffsschraube eines 30 Meter langen Schleppkahns, der das zutrauliche Tier zu nahe gekommen war, verletzte den sechs Jahre alten Meeressäuger tödlich.

Touristen fasziniert "Luna" war kein normaler Orca: Er hatte über die Grenzen Kanadas hinaus die Gemüter bewegt und Scharen von Touristen fasziniert. Für die Mowachaht-Muchalahts war Luna die Reinkarnation des verstorbenen Häuptlings Ambrose Maquinna. Auf dem Sterbebett hatte der Häuptling angekündigt, sein Geist werde in Gestalt eines Schwertwals zurückkehren. Wenige Tage nach Maquinnas Tod im Sommer 2001 tauchte ein Orca in den Gewässern des Nootka Sound vor Gold River auf. Fortan verließ "Luna" die Region nicht mehr.

Im Sommer 2004 wollte ihn das Fischereiministerium in Ottawa für viel Geld in die Nähe seiner Walfamilie transportieren lassen, damit er in deren Schoß zurückfinde. Denn im Gegensatz zum "Free Willy"-Filmstar Keiko, einem Orca, der immer in Gefangenschaft lebte, bevor man ihn in die Freiheit des Meeres entließ, kennen die kanadischen Tierforscher den Aufenthaltsort von "Lunas" Mutter. Ihre Herde wandert an der Westküste Kanadas und der USA auf und ab.

Mit Sängen angelockt

Doch die Mowachaht-Muchalahts verhinderten damals den Transport. Sie fuhren in zwei Kanus hinaus und lockten "Luna" mit Gesängen von den Netzen weg, in denen der Wal hätte gefangen werden sollen. Die Regierung in Ottawa gab danach ihre Pläne auf.

Der kontaktfreudige Orca gewöhnte sich aber zu sehr an die Gesellschaft von Booten und Menschen. Leute fuhren hinaus, um ihn zu sehen, zu streicheln oder gar zu füttern.

Das gefährdete den Wal und die Menschen. Das intelligente Tier erkannte nämlich, dass es Boote manövrierunfähig machen konnte, wenn es Schiffsschrauben, Steuerruder und Motoren beschädigte: Die Menschen blieben dann länger bei ihm.

Geld von der Regierung

Die Ureinwohner erhielten Geld von der Regierung, um die Aktivität des Orca zu überwachen. Den vorzeitigen Tod des Walkindes konnten sie aber nicht verhindern.

Sofort nach dem Unfall begann eine Kontroverse um die Schuld am Tod des Schwertwals, dessen Gattung in Kanada geschützt ist. Tierschützer werfen den Fischereibehörden vor, sie hätten nicht genug für "Luna" getan. Einheimische Fischer machen die Ureinwohner verantwortlich, die "Lunas" Vereinigung mit seiner Herde verhindert hätten.

Die Ureinwohner glauben indes, dass nun die Seele ihres Häuptlings endgültig in die Geisterwelt zurückgekehrt ist. (DER STANDARD Printausgabe, 15.03.2006)