Ob Gutverdiener im Gemeindebau wohnen sollen, darüber diskutierten Kurt Stürzenbecher und Maria Vassilakou.

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STANDARD: Was haben sie aus dieser Veranstaltung gelernt?

Stürzenbecher: Sie hat mich darin bestärkt, dass wir in Wien mit unserer Wohnbaupolitik richtig liegen – ganz speziell beim Prinzip der sozialen Durchmischung. Das müssen wir fortsetzen, beispielsweise im Gemeindebau. Wir müssen alles daran setzen, dass der Gemeindebau für die Einkommensschwächeren da ist, aber gleichzeitig dafür sorgen, dass auch Durchschnittsverdiener drinnen bleiben. Nur dann haben wir dort diese Durchmischung und dieses positive Wohngefühl, das es etwa in Frankreichs Banlieues nicht gibt. Dort werden alle Sozialprobleme der Gesellschaft in Bauten zusammengepfercht, und dann geschieht, was wir dort gesehen haben. Wir machen das Gegenteil, wie auch Die Zeit kürzlich über unseren Wohnbau geschrieben hat. Dank unserer sozialen Durchmischung fühlen sich die Leute überwiegend wohl.

Vassilakou: Gerade die soziale Durchmischung möchte ich kritisch hinterfragen. Der soziale Wohnbau war in den letzten Jahrzehnten hauptsächlich eine Mittelstandsförderung für Einheimische. Diejenigen, die seinerzeit als Teil der Arbeiterklasse in Gemeindewohnungen gezogen sind, gehören längst zum durchaus wohlhabenden Mittelstand. Sie sitzen in diesen Gemeindewohnungen und werden dort auch nicht ausziehen. Eine einkommensabhängige Miete, die durchaus ein Lenkungsinstrumentarium sein könnte, gibt es nicht. Dafür aber die Möglichkeit, die Wohnungen auch an Enkel und Enkelinnen zu vererben. Dadurch wird die Zahl der leistbaren Wohnungen, die zur Verfügung stehen, immer geringer. Der Neubau ist für untere Einkommen nicht wirklich leistbar, und der soziale Wohnbau ist nicht der Ort, an dem soziale Durchmischung gelungen wäre. Bei der ethnischen Durchmischung müssen wir aufpassen: Aufgrund der Tradition des sozialen Wohnbaus haben wir den angenehmen Nebeneffekt, dass Zuwanderer in Wien in den innerstädtischen Bezirken konzentriert sind, wenn auch im privatem Wohnbau. Ich bin skeptisch, ob es der richtige Weg ist, sie an den Stadtrand zu verschieben.

Stürzenbecher: Soziale Durchmischung heißt ja, dass wir sowohl Einkommensschwächere als auch Durchschnittseinkommensbezieher in den Gemeindebauten haben, und wir wollen das so. Und die Wohnbauförderung, wie wir sie haben, ist im Ergebnis sehr sozial. Der wesentliche Teil davon soll die Objektförderung bleiben, während die Subjektförderung zusätzliche Sozialdefizite auffängt. Je schlechter die Wirtschaftslage durch die Regierungspolitik wird, desto mehr Menschen benötigen Subjektförderung. Aber das ist nicht etwas, was man anstreben sollte.

Vassilakou: Wenn man Zuwanderer motivieren will, eine Genossenschaftswohnung zu nehmen, dann braucht man mehr Subjektförderung. Denn die Eigenmittel stellen für diese Gruppe ein großes Problem dar. Das Kapital wäre schon da, aber aus kulturellen Gründen ist es unmöglich zu erwarten, dass jemand eine größere Summe im Voraus bezahlt, ohne dass die Wohnung ihm gehört. Das Geld wird eher für die Bildung von Eigentum eingesetzt.

STANDARD: Wenn jemand fragt, ob es in Österreich zum gleichen Gewaltausbruch kommen kann wie in Frankreich, lautet die Antwort der Regierung: Das ist unmöglich. Ist das wirklich ausgeschlossen, oder gibt es auch hier versteckte Probleme?

Vassilakou: Es gibt Probleme, und die sind nicht alle versteckt. Etwa in der Schulpolitik: In Wiener Volksschulen haben rund 42 Prozent der Kinder eine andere Muttersprache als Deutsch. Sie haben zusätzliche Förderbedürfnisse, doch seit dem Jahr 2000 sind 1400 LehrerInnen eingespart worden, die für Förderunterricht da gewesen wären. Und wir alle wissen, dass in den nächsten Jahrzehnten der Zugang zum Arbeitsmarkt hauptsächlich eine Frage der Bildung und der Qualifikation sein wird. Hier müsste man dringend investieren. Wenn man das nicht tut, dann kann ich nicht ausschließen, dass wir in zehn oder 15 Jahren ganz andere soziale Spannungen haben werden als heute.

Stürzenbecher : Der Generaldirektor an meinem Tisch hat mir gesagt: Im Vergleich zu Frankreich haben wir in Wien eine klassenlose Gesellschaft. Auch wenn das überspitzt formuliert ist und die klassenlose Gesellschaft, wie sie im Programm meiner Partei steht, noch nicht erreicht worden ist, bin ich überzeugt, dass wir nicht die gleichen Probleme wie in Frankreich haben und dies auch nicht in absehbarer Zeit haben werden. Wir tun alles gemeinsam, um das zu verunmöglichen. Natürlich werden Probleme verstärkt, wenn es eine politische Gruppierung gibt, die vorrangig darauf abzielt, die Menschen gegeneinander aufzuhetzen. Doch die überwältigende Mehrheit der Wienerinnen und Wiener will, dass wir die Probleme lösen und zu einem gemeinsamen Miteinander kommen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15.3.2006)