Wien - So hip das Artemis-Quartett zurzeit auch ist und so sehr zu erwarten ist, dass diese exzellenten vier (Natalia Prischepenko, Heime Müller, Volker Jacobsen und Eckart Runge) bei einem ihrer nächsten Wienbesuche aus dem Mozart-Saal in den Großen übersiedeln werden, so scheint die große Tugend dieses Ensemble im Wissen zu liegen, dass nur wer zeitweise die Kraft zu schweigen aufbringt, überzeugend sprechen kann.

Zweifellos hat der Verzicht auf öffentliche Auftritte, den sich die Artemis-Leute 1998 nach glänzenden Starterfolgen zugunsten intensiver Studien (in Wien übrigens) auferlegt haben, jene fast bestürzend explosive und gleichzeitig technisch vollendete Rhetorik mitausgelöst und perfektioniert, mit der sie ihr Publikum auch am Samstag in ihren Bann zogen und zumindest vor der Pause in jubelnde Begeisterung versetzten.

Ihr von Hirn und Sonnengeflecht gleichermaßen geprägtes Spiel lässt puristische Stilfragen erst gar nicht aufkommen. So wurde beim einleitenden Mozart (Es-Dur, KV 171) wohl unüberhörbar beim Vibrato gespart. Dafür wartet dieses vierfache Streichinstrument, zu dem die Musiker vom ersten Ton an verschmelzen, mit einer solchen Fülle an Farben und dynamischen Schattierungen auf, die das Werk überhaupt aus jeder Tradition hinaus in Zonen zeitloser Bedeutung tragen.

Dort fand sich nach einer atemberaubenden interpretatorischen Reise letztlich auch das 9. Streichquartett von Dmitri Schostakowitsch (Es-Dur, op. 117). Alle Episoden dieses herben und ausnehmend kontrastreichen Epos wurden mit äußerster Prägnanz nacherzählt. Unnachahmlich gelangen vor allem die schier endlosen Repetitionsketten, zu denen Schostakowitsch seine Mikrothemen reiht. Durch die geradezu ekstatische Emphase, in der diese - vor allem im Finale - realisiert wurden, wurden sie zu ereignishafter Wirksamkeit intensiviert.

Nach der Pause allerdings, bei Franz Schuberts Rosamunde-Quartett (a-Moll, D 804), wollte sich diese Intensität nicht mehr in jenem Ausmaß einstellen, wie man sie vor der Pause erleben konnte. Möglicherweise ist Ekstase auch bei furiosem Quartettspiel nur in zeitlicher Begrenzung möglich. (Peter Vujica/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13. 3. 2006)