London/Rom/Arhus/Genf - Internationale Tageszeitungen beschäftigen sich in ihren Sonntagsausgaben mit dem Tod des früheren serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic.
  • Die britische Sonntagszeitung "The Observer":

    "Im früheren Jugoslawien, das er auseinander gerissen hat, wird um Slobodan Milosevic nicht sehr getrauert werden. Seine Vision eines serbischen Nationalismus hat von Kroatien über Bosnien bis zum Kosovo Blutvergießen ins Land gebracht. In einigen wenigen brutalen Jahren sind in Milosevic' gescheiterten Kriegen mehr als eine Viertelmillion Menschen getötet worden.

    Die internationale Gemeinschaft wird sich wieder mit charismatischen Führern auseinander zu setzen haben, die aufrührerische Programme haben. Sie wird wieder versucht sein, sie zu beschwichtigen. Milosevic' Tod ist eine rechtzeitige Erinnerung an die Lektion, die ins Gedächtnis einer älteren Generation von Europäern eingebrannt ist, die den Völkermord kennen: Nie wieder."

  • "The Sunday Times" (London):

    "Viele werden denken, dass Milosevic den Henker betrogen hat, indem er jetzt gestorben ist, bevor das Kriegsverbrechergericht zu seinem Urteil kam. Andere werden erleichtert sein, die gegenwärtige serbische Führung vielleicht inbegriffen.

    Trotzdem hat der unvollendete Prozess viel erreicht. Die Beweisaufnahme hat klar gezeigt, dass Milosevic die Quelle für das kriminelle Unternehmen war, ein ethnisch reines Groß-Serbien aus den Ruinen von Bosnien und Kroatien entstehen zu lassen. Mit der Zeit hatte die Strafverfolgung auch einen therapeutischen Effekt auf serbische Politiker. Es gab viele unter ihnen, die für ihren früheren Führer Sympathie empfanden. Aber die Entdeckung von Kühllastern mit den Leichen von Albanern und die erschütternden Filme von serbischen Paramilitärs, die in Srebrenica Gräueltaten begingen, hat die Mehrheit gegen ihn aufgebracht."

  • "Corriere della Sera" (Mailand):

    "Der Prozess gegen Slobodan Milosevic, der nun durch ein höheres Urteil, über das die Richter keine Kontrolle hatten, zu Ende ging, gehört zu den am heftigsten kritisierten Prozessen in Sachen internationale Menschenrechte. Einige sehen in dem Gerichtshof von Den Haag die klassische Repression in der Richterrobe von Seiten der Sieger über die Besiegten, eine blasse Nachahmung dessen, was sie als die "Rache" von Nürnberg ansehen. (...)

    Aber wenn der Gerichtshof mit der Langsamkeit einer Schnecke arbeitete, dann geschah das genau deshalb, weil es seine Aufgabe war, in 'unserem' Sinne Recht zu sprechen, das heißt in dem Sinne, dass man zunächst einmal von der Unschuld des Angeklagten ausgehen muss. (...) Man spreche daher nicht von einer Niederlage."

  • "La Repubblica" (Rom):

    "Die internationalen Richter hatten nicht die Zeit, das genaue Ausmaß seiner Verantwortung bei den 61 in der Anklageschrift aufgeführten Verbrechen zu klären, darunter der Vorwurf des Völkermords in Kroatien, Bosnien und im Kosovo. Welche genaue Rolle Milosevic in der Kampagne der ethnischen Säuberungen während der Auflösung Jugoslawiens gespielt hat, wird also für immer ungeklärt belieben. Jenseits des Gerichts haben allerdings viele Historiker inzwischen seinen Titel als "Schlächter des Balkans" bestätigt.

    Aber das Fehlen eines richterlichen Urteils liefert seinen Anhängern, und das sind nicht wenige, das Argument, dass das Gericht es nicht geschafft hat, Beweise für eine Verurteilung zu finden. Und die Erbitterten unter seinen Anhängern bringen jetzt sogar den Verdacht über die Ursache seines Todes vor, der ihrer Meinung allzu zeitgerecht kam, als ob eine Niederlage der internationalen Gerichtsbarkeit verhindert werden sollte."

  • "Jyllands-Posten" (Århus):

    "Slobodan Milosevic starb in einer Gefängniszelle. So endete sein Leben, wie man es erwarten konnte und Millionen Opfer, Überlebende und deren Nachkommen erhofft hatten. Es werden nur wenig Tränen dafür vergossen werden, dass Europas schlimmster Kriegsverbrecher seit dem Ende des Nationalsozialismus nicht mehr da ist. Ob er Selbstmord begangen hat oder eines natürlichen Todes starb, wird später geklärt werden. Unabhängig davon ist das Bedauerlichste an diesem Todesfall, dass die internationale Gemeinschaft nicht mit dem Despoten abrechnen kann, der den gesamten Balkan in den neunziger Jahren ins Chaos stürzte. Milosevic starb, ohne sich je mit den Opfern zu versöhnen und seine Verbrechen zu bekennen. Vor Gericht trat er als trotziger Feigling auf. Er war nicht im Stande, die Verantwortung für die Entscheidungen zu übernehmen, die zu Tod, Verwüstung, Massakern, Massenflucht, und Übergriffen beim schlimmsten Krieg in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg führten."

  • "NZZ am Sonntag" (Zürich):

    "Für die von Carla Del Ponte geleitete Anklagebehörde beim Jugoslawien-Tribunal bedeutet der Tod des Angeklagten Slobodan Milosevic den zweitschlechtesten möglichen Ausgang. Noch unbefriedigender wäre nur ein Freispruch gewesen, doch damit rechnete niemand. Dass Milosevic sterben könnte, bevor es zu einem Urteil käme, war freilich von Anfang an das Risiko dieses Jahrhundertprozesses. Das lag nicht nur an der Herzschwäche des Angeklagten, die dieser durch Medikamenten-Verweigerung immer wieder für seine renitente Haltung gegenüber dem Gericht zu instrumentalisieren wusste - jetzt vielleicht einmal zu oft.

    Das Risiko war auch die Folge einer äusserst aufwendigen Prozessführung. (...) Der Prozess dauerte (...) bisher vier Jahre, weil das Haager Tribunal Standards setzen wollte und manchmal schon pedantisch die Unschuldsvermutung und andere Rechte des Angeklagten schützte. Dank diesem Vorgehen ist von den drei Zielen, denen das Jugoslawien-Tribunal verpflichtet ist, im Fall des Hauptangeklagten Milosevic jedenfalls eines erfüllt worden: Das Völkerrecht hat an Autorität gewonnen. Von den anderen Zielen bleibt die historische Dokumentation der Kriegsverbrechen Milosevics zwar umfangreich, aber nun doch unvollständig, während die Gerechtigkeit gar nicht zum Zuge kommt."

  • "Vecernji list" ("Vecernji list"):

    Auf der Titelseite der Cer Tageszeitung "Vecernji list" lautete die Schlagzeile "Der Tod des balkanischen Henkers. Herr über Leben und Tod". Im Kommentar "Vom Volksidol zum Kriegsverlierer" betont das Blatt : "Während nur einiger Jahre hat der Kult des Slobodan Milosevics alle bisherigen serbischen Idole entwertet und in einer allgemeinen Idolatrie entwickelt. (...) Darum konnte er den Krieg, den er versprochen hatte, beginnen. Falls er in diesem Krieg gewonnen hat, ist es die Frage, wie Milosevic in eine Gefängniszelle in Den Haag gekommen ist. Er ist als ein Kriegsverlierer dorthin gekommen."

  • "Jutarnji list" (Zagreb) mit dem Titel "Tod ohne Strafe":

    "Anfang 1999 begann Slobodan Milosevic eine Kriegskampagne gegen den Kosovo. Das war sein fataler und schließlich politischer Fehler. Der Mann, der an der Macht blieb, obwohl er beide vorherigen Kriege (in Kroatien und Bosnien-Herzegowina) verloren hatte, erwartete nicht, dass Bill Clinton dieses Mal auf einer heftigen Strafe beharren würde. (...) Obwohl der gewalttätigste ist Milosevic auch der erfolgloseste politische Führer in der modernen serbischen Geschichte. (...) Serbien war nie kleiner und machtloser als am Tag des Todes von Slobodan Milosevic, seines grausamsten Diktators."

  • "Novi list" (Rijeka):

    "Zum Unterschied von Milan Babic, der seine Untaten bereute, verlässt Slobodan Milosevic diese Welt als Mörder, der den Sinn seiner eigenen Existenz in endlosem Hass auf andere findet. Darum bekam er verschiedene Beinamen, von "balkanischer Henker" bis "Totengräber Jugoslawiens", aber mit seinem körperlichen Verschwinden ist die Saat des Unheils, die er gesät hat, nicht ausgerottet." (APA/dpa/Red)