Wie zu erwarten war, galt die Tatsache, dass "Brokeback Mountain" bei der Oscar-Verleihung nicht als Bester Film ausgezeichnet wurde, in manchen Kreisen sofort als Beweis für Hollywoods versteckte Homophobie. Dass der Preis an "Crash" ging, sei nur eine scheinheilige Ersatzhandlung, hieß es: Aus schlechtem Gewissen wegen des feigen Verrats an "Brokeback Mountain" habe man dann eben für einen Anti-Rassismus-Film votiert, der eindeutig liberale und politisch korrekte Standpunkte vertritt.

In Wahrheit ist "Brokeback Mountain" Eskapismus pur: Die tragische Romanze spielt bezeichnenderweise vor vier Jahrzehnten im hintersten Winkel Amerikas, was dem urbanen Kinogeher die selbstgefällige Befriedigung verschafft, über längst gelöste Probleme nachzudenken, die mit der Gegenwart scheinbar nichts zu tun haben.

Aber ist die Schlacht tatsächlich gewonnen? Wurde "Brokeback Mountain" nicht von vielen christlich-konservativen Gruppierungen als Versuch attackiert, das Image des Cowboys, diese Ikone des amerikanischen Lebensstils, anzupatzen, indem man ihn der Homosexualität bezichtigt? Tatsächlich waren die Reaktionen in der konservativ-christlichen Presse ebenso zahlreich wie vorhersagbar. Robert H. Knight etwa, der Chef des "Culture and Familyinstitute", stellte fest, dass der Film eines der schönsten und bedeutendsten Attribute des Westerns pervertiere, nämlich die "Darstellung von Männerfreundschaften, die nicht durch Sexualisierung beeinträchtigt werden". Und David Kupelian von WorldNetDaily (einem konservativen Internet-Nachrichtenportal, Anm.) beschuldigte den Film, "den Marlboro-Mann zu vergewaltigen", mit dem ausschließlichen Ziel, "die jüdisch- christlichen Moralvorstellungen, die Basis und Rückgrat der Westernkultur sind, hinwegzufegen".

Eine einfache Replik auf diesen Vorwurf ist natürlich, dass die Ethik des Westerns ganz und gar nicht christlich ist, sondern eine Ethik der Rache und der Gewalt und sicherlich keine, die dazu ermuntert, auch noch die andere Wange hinzuhalten, wenn man geschlagen wird. Con Vallian, der Held aus Louis L'Amours Roman "The Quick and the Dead", hat diese Einstellung auf die prägnante Formel gebracht: "Mit Sanftmut macht man westlich von Chicago keinen Stich."

ine andere Sache, auf die sofort hingewiesen wurde, und über die man sich sogar in einer Serie von Filmausschnitten während der Oscar-Zeremonie selbst lustig machte) sind die offenkundigen homoerotischen Anspielungen in der Welt des Westerns, in dem Männerfreundschaften im Mittelpunkt stehen und Frauen zurückgedrängt werden. Man sollte allerdings nicht in die Falle tappen, in diesen Anspielungen eine Art versteckten Widerstand gegen die offizielle, patriarchalische, heterosexuelle Ideologie zu sehen. Diese Ebene der Homosexualität ist ganz im Gegenteil eine Schlüsselkomponente des Western-Universums – ein Wesensmerkmal, das in militärischen Gemeinschaften noch deutlicher zum Ausdruck kommt.

Während der Clinton-Präsidentschaft versuchte man ja, den Ausschluss von Homosexuellen aus der US-Armee mit einem Kompromiss zu begegnen – "Nichts fragen, nichts sagen!". Soldaten wurden nicht geradeheraus gefragt, ob sie homosexuell seien, also waren sie auch nicht gezwungen zu lügen, weil sie ja offiziell nicht in der Armee zugelassen waren. Homosexuelle wurden insofern toleriert, solange sie ihre sexuelle Orientierung als Privatangelegenheit betrachteten und andere nicht aktiv dazu verleiteten.

Jene, die diese opportunistische Maßnahme richtigerweise als heuchlerisch kritisierten, haben allerdings in der Regel die Ironie daran nicht verstanden.

Das heißt, man sollte an dieser Stelle einmal eine vielleicht naive, aber durchaus elementare Frage stellen: Warum ist denn die Armee so sehr dagegen, dass Schwule offiziell in ihren Reihen akzeptiert werden? Und darauf gibt es nur eine mögliche Antwort: nicht weil Homosexualität eine Bedrohung für das vorgeblich "phallusorientierte und patriarchalische" Triebverhalten innerhalb der Armee darstellt, sondern, im Gegenteil, weil das Triebverhalten innerhalb der Armee auf einer vereitelten und verleugneten Homosexualität aufbaut, die eine Schlüsselkomponente der Männerfreundschaften unter Soldaten darstellt.

Wenn ich an meine Erfahrungen aus meiner Militärzeit 1975 zurückdenke, erinnere ich mich, dass die damals berüchtigte jugoslawische Volksarmee extrem homophob war – sobald entdeckt wurde, dass jemand homosexuelle Neigungen hatte, wurde er sofort zum Paria und als Unperson behandelt, bevor er formell aus der Armee ausgeschlossen wurde. Gleichzeitig war der Armee-Alltag bis zum Exzess aufgeladen mit homosexuellen Anzüglichkeiten. So war es ein gängiger Scherz, seinem Vordermann in der Schlange vor der Essensausgabe den Finger kurz in den Allerwertesten zu stecken, um dann auf die Reaktion des sich Umdrehenden zu warten, der natürlich nicht sehen konnte, wer von seinen feixenden und grinsenden Hintermännern es getan hatte. In meiner Einheit war "Blas mir einen!" (auf serbokroatisch "Pusi kurac!") eine gängigere Grußformel als "Hallo"; diese Floskel wurde so normal, dass sie jeglichen obszönen Beigeschmack verloren hatte und völlig neutral als reiner Höflichkeitsakt verwendet wurde.

Diese fragile Koexistenz von gewalttätiger Homophobie und verhinderter Homosexualität ist ein Beweis für die Tatsache, dass eine Armeegemeinschaft nur funktionieren kann, indem man die eigenen Grundtriebe zensuriert.

Insofern liegt Andrew Longman doppelt falsch, wenn er in seiner Kolumne ("Erneuere Amerika") "Brokeback Mountain" mit dem Argument ablehnt, dass der "Islamismus nicht mit schwulen Cowboys bekämpft werden kann": Erstens sind die US-Soldaten, die den Islamismus im Irak und sonst wo bekämpfen, eine Art "schwule Cowboys", da ihre Gruppen-Identität durch homosexuelle Bande zusammengehalten wird. Und zweitens kann man den militanten Islamismus sehr wohl mit "schwulen Cowboys" nicht nur bekämpfen sondern auch gewinnen: hängt nur davon ab, wie offen man mit den unterdrückten Erotizismen der Männerbündelei im Militär umgeht.

Wie sollte also demnach ein Film das Thema Homosexualität behandeln? Ich halte beispielsweise "Capote" für ein positives Gegenmodell zu "Brokeback Mountain". Jene, die beide Filme in dieselbe Lade der "schwulen Themen" stecken, haben nämlich einen entscheidenden Unterschied völlig übersehen:

Während "Brokeback Mountain" ein Film über Homosexualität ist, über die tragische Zwangslage eines schwulen Paares, ihre Beziehung unter lebensfeindlichen Bedingungen aufrechtzuerhalten, geht es in "Capote" um eine Person, die unter anderem auch zufällig schwul ist – der Film konzentriert sich auf andere Dinge, der Charakter der Hauptfigur ist nicht bloß über ihre Homosexualität definiert. Ist das nicht der wahre Sieg für Schwule – dass der Held eines Films einfach homosexuell sein kann, ohne dass diese Tatsache alles andere überschattet? (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9.3.2006)