In Mozarts Lucio Silla heißt der Diktator Lucio Silla, und der wiederum will mit allen Mitteln verhindern, dass die schöne Giunia und der tapfere Cecilio zusammenkommen. Silla will Giunia selbst heiraten, die aber will so etwas von gar nicht - was man verstehen kann, da Silla ihren Vater getötet und ihren Verlobten davongejagt hat. Giunia zickt und tobt und wünscht Silla tausend Tode an den Hals, getötet wird am Ende dann Cecilio - aber nur fast, weil der Diktator in der letzten Sekunde einen Gutmütigkeitsanfall bekommt und alles um ihn herum begnadigt und zusammenführt und sein purpurnes Machtmäntelchen ablegt auf unbestimmte Zeit.
Beim Lucio Silla jammert die sonst so mozartmanische Fachwelt ja gern ein wenig auf: zu lang, zu steif, gepresst in das strenge Korsett der Opera seria, die damals, Anfang der 1770er-Jahre, als der Salzburger Wunderjugendliche das Werk für den Mailänder Hof schrieb, eigentlich schon aus der Mode war. So war denn auch der Jubelchor der Fachpresse ein laut schallender, als Nikolaus Harnoncourt und Claus Guth bei den Wiener Festwochen des letzten Jahres einen Lucio Silla auf die Bühne des Theaters an der Wien wuchteten, der garantiert gähnfrei war, also: spannend, kurzweilig und gut.
Und die Güte, sie blieb erhalten: Harnoncourt und sein Concentus musicus waren im Lauf des knapp vierstündigen Abends des Wahnsinns brodelnder Hexenkessel, der Trauer sanftes Ruhekissen, waren kratzbürstige Rache und streichelweiche Liebe.
Und oben auf der Bühne tobten die Akteure, allen voran Patricia Petibon, das sympathische Rotschöpfchen, das mit permanent aufgerissenen Äuglein auf Stummfilm-Wahnsinnsfrau machte und sich bei ihren Hardcore-Koloraturstrecken vom leise miauenden Kätzchen bis zur heulenden Alarmsirene zu steigern wusste.