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Barry Dickson

Foto: APA/IMP Institut für für Molekulare Pathologie
Klaus Taschwer sprach mit dem Neurobiologen über die Gründe für den internationalen Erfolg seines Instituts, über verbesserte Förderungen für Forscherinnen, das Sexualverhalten der Taufliegen und eine neuartige Fliegen-Bibliothek.

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STANDARD: Ihr Institut ist weltweit angesehen und gilt, gemessen an den Publikationen, als das erfolgreichste Forschungsinstitut Österreichs. Was ist das Geheimnis des IMP-Erfolgs?

Dickson: Es gibt da keine Geheimnisse. Das Institut wird vom Eigentümer, der Pharmafirma Boehringer Ingelheim, sehr großzügig finanziert. Wobei an dieses Geld keinerlei Bedingungen geknüpft sind - außer eben möglichst gute Grundlagenforschung zu machen. Damit werden junge helle Köpfe gefördert, für die das IMP tolle Bedingungen bietet.

STANDARD: Ihre erste Initiative als neuer Direktor des IMP war es, mit einem Fellowship-Programm jungen Forscherinnen und Forschern noch mehr Freiheit zu geben. Warum ist das so wichtig?

Dickson: Dieses Fellowship-Programm war keine eigene Idee von mir. Wir haben sie einigen Topinstituten in den USA abgeschaut. Die Idee dahinter ist, dass die wenigsten Forscher mit 30 oder 35 schon unabhängig arbeiten können, obwohl das ihre kreativste Phase ist. Wir wollen deshalb besonders begabten Nachwuchsforschern die Möglichkeit geben, an eigenen Projekten zu arbeiten. Das ist zwar riskant, aber auch nicht besonders teuer. Die Chance ist aber nicht so gering, dass aus solchen Fellows später Topforscher werden. Wir haben auch schon die erste Person gefunden: eine junge Strukturbiologin von der Harvard University.

STANDARD: Forscherinnen waren am IMP bislang eher unterrepräsentiert.

Dickson: Das stimmt, und das ist auch extrem bedauerlich. Bei den Dissertanten gibt es noch 50 Prozent Frauen, bei den Post-Docs sind es auch noch 40 Prozent, aber danach bleiben nur mehr ganz wenige übrig. Irgendetwas läuft da falsch. Ich würde ja gern glauben, dass wir Wissenschafter in unseren Auswahlprozessen objektiv sind. Wie sich allerdings in einer Studie zweier schwedischer Soziologinnen in der Zeitschrift Nature gezeigt hat, werden Projektanträge von Frauen signifikant schlechter beurteilt als jene von Männern - nur weil sie von Frauen sind. STANDARD: Was kann das Institut für Molekulare Pathologie in Zukunft in dieser Frage tun?

Dickson: Ich hoffe, dass das Fellowship-Programm ein kleiner Schritt in die richtige Richtung ist. Für etablierte Forscherinnen ist es schwierig, hier herzukommen - zumal wenn sie sehen, dass es an unserem Campus kaum Kinderbetreuungseinrichtungen gibt. Für junge Frauen kurz nach der Dissertation ist es möglicherweise leichter, hier bei uns zu forschen und dann einige Jahre länger zu bleiben.

STANDARD: Am IMP gibt es Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus mehr als 30 Ländern. Gibt es da keine kulturellen Spannungen im Labor?

Dickson: Mir sind keine Probleme dieser Art bekannt - außer bei der Fußballweltmeisterschaft. In meiner eigenen Forschungsgruppe habe ich Leute aus fünfzehn verschiedenen Ländern und mindestens drei verschiedenen Religionszugehörigkeiten. Aber sie vertragen sich prächtig. Ich denke auch, dass diese multikulturelle Erfahrung für junge Leute einen Reiz darstellt, ans IMP zu kommen.

STANDARD: Sie erwähnten, dass Sie sich das Fellowship-Programm von US-Instituten abgeschaut haben. Wie weit sind uns die USA in Sachen Forschungskultur voraus?

Dickson: Ich bin mir da gar nicht so sicher, dass Europa hinten nach ist. Die Vereinigten Staaten sind sicher viel kompetitiver, was aber auch Nachteile hat. Die Leute verbringen dort zum Beispiel sehr viel Zeit damit, Projektanträge zu schreiben. Und sie wissen genau, was die anderen machen, und gehen zu denselben Tagungen - was in gewisser Weise aber auch Innovation behindert. Wahrscheinlich gibt es sogar mehr innovative Forschung in Europa als in den USA. Das große Problem in Europa ist die Forschungsförderung.

STANDARD: Zurzeit wird das Budget des 7. Rahmenprogramms für die europäische Forschung der nächsten Jahre verhandelt. Haben Sie irgendwelche Tipps für die Bürokraten in Brüssel?

Dickson: Ganz einfach: mehr Geld in die Grundlagenforschung, keine Förderungen nach politisch motivierten Programmen von oben, sondern bottom-up und nach wissenschaftlicher Qualität. In anderen Worten: Bitte stat- tet den Europäischen Forschungsrat mit möglichst Geld aus, und stellt sicher, dass er von Wissenschaftern geführt wird und nicht von Bürokraten!

STANDARD: Apropos Bürokratie: Sie sind seit 1. Jänner Direktor des IMP. Bleibt Ihnen selbst da noch genügend Zeit für die Wissenschaft?

Dickson: Ich hätte den Job sicher nicht angenommen, wenn ich jetzt keine Zeit mehr haben würde, selbst im Labor zu stehen und zu forschen. Im Moment komme ich zwar kaum dazu. Aber das wird sich hoffentlich irgendwann wieder ändern.

STANDARD: Eines Ihrer Hauptprojekte ist der Aufbau einer Art Bibliothek von transgenen Taufliegen. Was hat es damit auf sich?

Dickson: Die Wissenschaft untersucht seit vielen Jahre, wie und inwiefern Gene das Verhalten bestimmen. Dafür hat man einfach Gene aus tierischen Modellorganismen wie dem Fadenwurm oder der Taufliege entfernt und geschaut, was sich am Verhalten ändert. Das Problem dabei ist, dass ein einziges Gen viele verschiedene Funktionen haben kann. Fehlt es im Organismus, stirbt das Tier oder wird zumindest sehr krank. Das verhindert, dass wir dann die Funktion dieses Gens für das Verhalten untersuchen können. Wir züchten deshalb rund 15.000 verschiedene Stämme von Taufliegen heran, bei denen jeweils ein anderes Gen durch die so genannte RNA-Interferenz verändert ist. Dadurch kann man einzelne Gene sehr spezifisch im Gehirn oder sogar in einzelnen Neuronen ausschalten, ohne dass dadurch das Tier Schaden nimmt. Und das wiederum ermöglicht es uns, die genaue Funktion der Gene für das Verhalten viel genauer zu studieren.

STANDARD: Sie haben im Vorjahr in einem viel beachteten Paper der Zeitschrift "Cell" gezeigt, dass ein spezifisches Gen das Sexualverhalten der Taufliegen steuert. Lässt sich daraus etwas für das menschliche Verhalten folgern?

Dickson: Nein. Auf molekularer Ebene ist die Biochemie von Fliegen und Menschen zwar ziemlich gleich. Auf der Systemebene funktioniert aber alles ganz anders. Dieser Unterschied entsteht auf der Ebene der Neuronen und der Nervenbahnen, die im menschlichen Gehirn völlig anders ist als bei den Fliegen. Eine der größten und spannendsten Herausforderungen in den Neurowissenschaften ist es zurzeit, die Kluft zwischen den molekularbiologischen und den psychologischen Ansätzen zu überbrücken. Und genau da setzen wir an: Wir wollen zum einen herausfinden, wie Gene zur Ausbildung und Veränderung von Nervenbahnen führen, und zum anderen, wie diese Nervenbahnen das Verhalten bestimmen.

STANDARD: Kann man das, was Sie erforschen, auch irgendwie anwenden? Dickson: Kurzfristig sicher nicht. Langfristig ist es nicht ausgeschlossen. Als die späteren Nobelpreisträger Christiane Nüsslein-Volhard und Eric Wieschnaus in den Siebzigerjahren die biochemischen Prozesse bei der Embryonalentwicklung von Fruchtfliegen analysierten, schien das auch ganz weit weg von jeder Anwendung. Heute spielen jene Gene, die sie damals fanden, eine wichtige Rolle in der Krebsforschung. Insofern hoffe ich - natürlich auch für Boehringer Ingelheim -, dass unsere Forschungen über Gene, Nervenbahnen und das Verhalten von Taufliegen auch dazu führen könnten, irgendwann in ferner Zukunft Medikamente zu finden.(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 6. 3. 2006)