Foto: !K7 Records
Es heißt: Wenn der Geräuschpegel in einem Raum untragbar geworden ist, weil allzu viele Stimmen durcheinander schwirren und einander an Lautstärke übertreffen wollen, dann kann man sich nur noch auf eine Weise Gehör verschaffen: Indem man seine Stimme senkt. Und senkt . Bis die anderen innehalten und wieder aufnahmebereit sind.

Wenn jemand die Souveränität dazu hat dies wahrzumachen, dann Ursula Rucker, die große Spoken Word-Poetin aus Philadelphia, deren drittes Album neuerlich auf dem deutschen Label !K7 erschienen ist. - Kein Zufall, denn im Musikgeschäft der US-Heimat sah Rucker ihre Erfolgschancen stets pessimistisch. "Sie wollen nicht in jemanden investieren, der etwas anderes von sich gibt als Sex, Arsch, Titten, Geld und Autos. Das ist ein kaum zu durchbrechender Kreis", meinte Rucker im dieStandard.at-Interview anlässlich ihres Debütalbums "Supa Sista" 2001 - und wie prophezeit ist die Lage seitdem tatsächlich nicht besser geworden.

When Hip-Hop was life ...

"Church Party", ein kurzes Stück ohne jede Instrumentalbegleitung, ist zugleich kurzer Prozess gemacht mit dem zum Business verkommenen Hip-Hop: Schmuck, stylishe Klamotten, B-Boy posin', leere Reime ... Lichtjahre lange Dollarstapel entfernt vom Hip-Hop als Kultur, aus dem Rucker selbst entstammt und den sie noch als vage Erinnerung wachruft: When Hip-Hop was funky, when Hip-Hop was fresh, when Hip-Hop was life.

Ähnlich nüchtern die Abrechnung mit Politik und Gesellschaft in "Rant (hot in here"), das den Bogen vom Musikgeschäft über den Kapitalismus bis zu Abu Ghraib und Aids - cause we all bein' fucked in the ass right now - spannt: How Roman empire ... für eine sehr ähnliche Beschreibung der US-Politik musste in Deutschland eine Ministerin zurücktreten.

Well, there you have it ... the longest minute in cunnilingus history

Die Faszinaton liegt darin, wie klar und messerscharf, dennoch aber betont ruhig Rucker ihre Texte, fast an eine Erzählerin aus dem Off erinnernd, spricht. Wer jemals Jello Biafras mitreißende Tirade gegen den ersten Golfkrieg ("Die for oil, sucker") gehört hat - Rucker stellt gewissermaßen die formale Antithese dazu dar, ohne deswegen jedoch ein Quäntchen weniger an Intensität zu erzeugen. Und sprechen ist ohnehin kein adäquates Wort, auch wenn Rucker nur an vereinzelten Stellen und kurzfristig in ansatzweises Singen fällt: Vielmehr handelt es sich um einen Sprachfluss von höchster Musikalität - besonders spürbar in den "poetischeren" Stücken wie "Humbled" oder "Black Erotica", die auch einen Ausgleich zu den erbarmungslosen politischeren Stücken bilden; wie das zentrale "Children's Poem" zu Ruckers ureigenster Thematik (die sie unter anderem auch an der Universität studiert hat): der African American History.

"L.O.V.E." bildet dann den versöhnlichen Schlusspunkt des Albums: So we will speak only of love ... and it won't be that Hollywood type of love, not T.V. love ... and certainly not mainstream music love.

Keep your memory, power, spirit

Der Musik im Sinne von Instrumenten kommt bei Ursula Rucker eine lediglich unterstützende Rolle zu: sie transportiert möglichst unauffällig, aber keineswegs billig den Sprachfluss. Reduzierte Versionen von Soul und Jazz (in sparsamer Instrumentierung: Bass und Trompete etwa) sowie sanfte Beats bilden zumeist die Unterlage. In einigen Stücken setzte Produzent Anthony Tidd ausschließlich auf verschiedene Percussion-Instrumente; in "Spiri-chant" wiederum bildet ein - in seiner Klangwirkung fast einem Didgeridoo ähnelnd - buddhistischer Gebetsgesang den Hintergrund. Im Vordergrund aber wie gesagt immer das Wort.

Dass sich bei einem 55-minütigen Monolog, wie "Ma'at Mama" einer ist, ein enormes Text-Korpus ergibt, wird nicht überraschen. Auf Ursula Ruckers Website wurden die gesammelten Lyrics als pdf-File zum Download bereit gestellt. Natürlich kann man auch die Texte außen vor lassen, die CD als Hintergrundberieselung abspielen und sich ausschließlich von Beats und Sprachrhythmus einlullen lassen. Und natürlich kann man auch mit einer Geige Nägel in die Wand schlagen. (Josefson)