In der Popmusik liegt ewige Wahrheit. Nur welche? Diese Woche betrachten wir Blood Red Bird von Smog. Horch, was schallt von draußen rein? "Ti-ti-ti-ti-ti-ti-th", ruft ein Vogel, der vor dem Fenster auf einem Zweig sitzt. Und aus dem Gebüsch drüben am Zaun ertönt, wie zur Antwort, ein keckes "Zizibäh, zizibäh". Die Vögel sind zurück, und ihr Gesang kündet vom Bruch des Eises, vom Frühlingserwachen.

Doch was seit alters Anlass zu Frohsinn und Heiterkeit war, was zum Entzünden von Freudenfeuern und zur Wiederentdeckung fast vergessener Paarungsrituale führte, verbreitet nun Angst und Schrecken. Denn die Vögel bringen nicht nur die Sonne - sondern auch die Grippe. Sinnbildlich dafür steht der "Blood Red Bird", dem die Gruppe Smog, von einer düsteren Ahnung getrieben, bereits 1997 ein Lied gewidmet hat. Als Todesbote schwebt dieser blutrote Vogel durch die Lüfte, sein Nest baut er im Dornenstrauch oder in einem Haufen toten Laubes. Um Mitternacht schallt sein schriller Schrei in die Schlafzimmer hinein, sodass die braven Bürger aus ihrem Schlummer emporschrecken. Wenig später liegt der Vogel dennoch mit gebrochenem Flügel im Wald und verendet. Später kommen Männer in weißen Schutzanzügen - was der Song allerdings nicht explizit erwähnt -, sammeln den Kadaver ein und werfen ihn ins Auto, wo bereits einige tote Schwäne vor sich hin gammeln. Ein Journalist ist anwesend, der die weißen Männer fotografiert, am nächsten Tag ist deren Bild auf den Titelseiten der Zeitungen zu sehen; in den begleitenden Texten wird einerseits versichert, dass kein Anlass zur Sorge bestehe, andererseits auf die unzureichende Versorgung mit Schutzanzügen hingewiesen.

Was im Klartext bedeutet, dass keiner weiß, ob wir der Rache der Schöpfung entkommen werden, die sich nach vielen qualvollen Jahren nun gegen ihren Peiniger, den Menschen, erhebt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3.3.2006)