Martin Stadtfeld: "Kollegenimitation funktioniert nicht. Ich nähere mich einem Stück aus mir heraus, die Interpretation muss aus mir herauswachsen, sonst wird sie nur zu einer Ansammlung billiger Effekte."

Foto: BMG/Sony
...und auch auf der Bühne Qualität zu bieten hat. Ein Gespräch über seine erstaunliche Karriere und sein "Hobby", das Üben im Kopf.


Wien – Betrachtet man das über Martin Stadtfeld in Deutschland ziemlich ausgiebig Geschriebene, so gewinnt man den Eindruck, es handle sich hierbei um einen Pianisten, der aus Fadesse Appetit auf eine Karriere bekam, schnell einmal die Goldbergvariationen von Bach aufnahm, der Firma (BMG/Sony) gefiel und sodann mit dem Produkt in den Charts landete.

Tatsächlich sorgte die Aufnahme ja auch für Aufsehen. Frech oktavierte der mittlerweile 26-Jährige Phrasen, legte das Ganze erfrischend an und löste damit ein für ihn überwiegend sehr vorteilhaftes Rauschen im Blätterwald aus. "Ich sehe hinter meinem Weg allerdings etwas mehr Kontinuität und Arbeit. Alles muss offenbar medial reduziert werden auf Griffiges – wenn Geschichten zu lang werden, sind sie wohl zu schwierig", schmunzelt Stadtfeld, und schildert, was der scheinbaren Über-Nacht-Karriere vorausging.

Da war etwa 1997 der Sieg beim Rubinstein-Wettbewerb in Paris, oder 2001 der Einzug ins Finale des Busoni-Wettbewerbs in Bozen – auch gewann er den Bach-Wettbewerb in Leipzig. "Danach kamen Einladungen zu wichtigen Festivals in Deutschland, es gab auch schon Kritiken in wichtigen Blättern, ich hatte aber nur einen losen Kontakt zu Firmenleuten. Die meinten, sie bräuchten ein Band, dann würde man weitersehen."

Stadtfeld ließ sich dann ein Klavier aus Italien kommen, ging zur Aufnahme, war nicht zufrieden, setzte sich wieder hin und schaffte es dann doch. "So leicht und schnell ging das Ganze also nicht." Und überhaupt, die Branche sei schon komisch: "Heute ist es nicht mehr einfach. Es ergibt sich fast von selbst, oder es ergibt sich überhaupt nicht – man kämpft da gegen Windmühlen, auch wenn alles an Können da ist. Viele berufen sich auf die Krise, meinen, man könne mit Klassik kein Geld verdienen. Stimmt nicht! Man kann noch Geld verdienen. Es ist jetzt nur eine Umbruchphase, man muss neues Publikum schaffen."

Durch sein Alter habe er dazu eher die Chance, meint der in Koblenz Geborene, "für eine junge Zielgruppe ergibt das einen hohen Identifikationsgrad. Die sehen jemand, der eigentlich ganz normal tickt, eine Leidenschaft hat, und denken: ,Das kann man sich doch einmal anhören.‘ Ich weigere mich, in das Krisengejammer einzustimmen. Natürlich: Ich bin in einer glücklichen Situation."

Nun, ja. In der ersten Liga angekommen, muss man dort auch überleben. "An den Kritiken merkt man schon, dass das jetzt oft ins Gegenteil kippt; da sind schon Verrisse dabei, die unter die Gürtellinie gehen." Stadtfeld allerdings hat Substanz, das kann man etwa an seinen Aufnahmen von Mozart-Konzerten nachhören. Wenn auch der Hype um ihn, wie jeder, etwas Irrationales erlangte, so kommt er jemandem zugute, der es verdient und offenbar kein Talent zum Abheben hat.

"Geiles" Spielen

"Mein Leben hat sich nicht sehr verändert. Sicher, nach Konzerten gibt es etwas Rummel. Aber im Grunde bindet das Instrument alle Kräfte, und warum ich das eigentlich mache, Klavier spielen nämlich, habe ich mich auch früher gefragt." Nun, Stadtfeld findet das Spielen "geil"; es sei auch immer schon so gewesen, dass, auch wenn er sich schlecht fühlte, das Eintauchen in die Notenwelt die "innere Ordnung" wiedererstellen konnte.

Stadtfeld übt aber auch gerne einfach im Kopf, geht die Stücke gedanklich durch: "Das passiert andauernd, das hilft, Abstand zum Stück zu gewinnen. Wenn man zu sehr am Klavierwühlen ist, ist das nicht gut. Geht man es im Kopf durch, bekommt man den Überblick. Wenn man es verarbeitet hat, dann kann das Werk zu fliegen beginnen!"

Falsche Stimmung

Wichtig sei auch, dass das Stück etwas "mit mir macht – ich muss mich von ihm emotionalisieren lassen. Natürlich darf man die Kontrolle nicht verlieren. Einfach nur in das Stück eintauchen ist nicht genug. Da hört man eigentlich nichts von dem, was man spielt." Kann man eigentlich für ein Stück in falscher Stimmung sein? "Ja! Ich wähle deshalb Stücke, die sehr viel Spielraum lassen. Deswegen mag ich Bach, Mozart und auch Beethoven. Wobei bei Letzterem die Bandbreite nicht so groß ist."

Interpretenangst fordert kein Werk, deswegen versucht Stadtfeld, Konzerte frei von diesem Gefühl zu halten. Auch von der Legion bekannter Werkaufnahmen will er sich nicht lähmen lassen.

"Ich habe sehr wohl die Chance, die Stücke trotz der vielen Einspielungen unschuldig kennen zu lernen. Die berühmten Aufnahmen interessieren mich gar nicht, die stellen einen allgemeinen Konsens dar, der für mich nicht stimmen muss. Kollegenimitation funktioniert sowieso nicht. Ich nähere mich einem Stück aus mir heraus, die Interpretation muss aus mir herauswachsen, sonst wird sie nur zu einer Ansammlung billiger Effekte." (DER STANDARD, Printausgabe, 28.2.2006)