Burgtheater-Schauspieler Philipp Hochmair erobert die größten Theatertexte wie im Sturm - Ansichten und Marotten eines bezwingend vitalen Kraftpakets.

Foto: Tedeschi
Ab Freitag gibt er an der Burg den Titelhelden in Goethes "Torquato Tasso" (Regie: Stephan Kimmig). Das Porträt eines ruhelosen Unbedingten.


Wien - Burg-Schauspieler Philipp Hochmair (32) ist ein Selbstüberrumpelungsathlet. Formuliert er einen Satz, scheint er innerlich bereits abzuschweifen und den nächsten Brocken zu wälzen. Er denkt dann mindestens an die übernächste sportliche Herausforderung. Er schlürft gierig Mineralwasser, als genösse er nach absolvierter Probe ein Elektrolytgetränk. Rollentexte, die er schwerer erlernt als viele Kollegen, muss er sich in monatelanger Fron erst mühsam aneignen.

Das schimpfende U-Bahn-Ekel in Peter Handkes "Untertagblues", ingeniös freihändig in Szene gesetzt von Friederike Heller? Lernte er während vieler Monaten in zäher Kleinarbeit auswendig. Er vergleicht Texte mit "Wolkenbänken, die ich am Himmel sehe, wenn ich im Mühlviertel Rad fahre".

Er muss den Nebel sozusagen physisch durchdringen: Dann ficht er mit Schatten und stemmt Gewichte hoch. Hochmair rennt komplizierte Texte wie Jelineks "Babel" wie Barrikaden nieder. Als Werther in der Theaterfassung seines Freundes und Regisseurs Nicholas Stemann schmolz er die Liebesraserei des Helden in Fieber um. Er änderte sogar freihändig ein Datum ab, überschrieb einen Brief des Liebeskranken mit "50. August". "Das war in dem Augenblick einfach das Richtige!", glüht Hochmair noch heute nach. Ein gelbes Reclam-Heft knallte er als Werther obendrein in die Ecke.

Brief an Handke

An Handke schrieb er aus Anlass der "Untertagblues"- Erstaufführung damals einen Brief. Der Dichter erteilte ihm und Regisseurin Heller daraufhin großzügig die Erlaubnis, mit dem Stücktext zu verfahren, wie es ihnen geraten erscheine. Der Reinhardt-Seminarabgänger Hochmair ist das Kind einer Burgtheaterärztin. Ob er auf Josef Meinrads Knie geschaukelt wurde, daran kann er sich nicht mehr genau erinnern: "Mein Empfinden begann, wie das so vieler, in der Peymann-Ära!" Am Seminar war er Schüler von Klaus Maria Brandauer. Der habe einen auf die Härten des Schauspielerlebens rücksichtslos vorbereitet, weil er unter Dutzenden von Schülern gerade einmal fünf Lieblinge besaß: "Birgit Minichmayr und ich waren darunter. Insofern hatten wir großes Glück."

Mit der ehemals "freien" Truppe Nicholas Stemanns klapperte er ruhelos die deutschen Städte ab. Entwickelte ein Gruppengefühl und Identitätsverhältnis, ohne doch von den Eigenheiten eines grandios muskulären Theatermachers abzulassen. Ab Freitag gibt er in der Regie Stephan Kimmigs den "Torquato Tasso" am Wiener Burgtheater (19.00 Uhr): "Die Proben sind hart für mich, weil Kimmig stark auf Verabredungen setzt. Bei Stemann lassen wir doch vieles bis zuletzt offen, sodass die 'Tagesaktualität' noch eindringen kann", beschreibt Hochmair.

Lorbeer für Tasso Die mutwillige Kränkung eines eben noch lorbeerbekränzten Dichters, der seinerseits als nervöser Flattergeist die gesellschaftlichen Verabredungen negiert. - Wie spielt man dergleichen Überbauphänomene von anno dazumal, Herr Hochmair? "Na ja, man verliert ein bisschen die Realität im Theater. Ich war mit der 'Leonore Sanvitale', Myriam Schröder, unlängst Kuchenessen im Sacher, als ein Zug arabischer Demonstranten vorbeidefilierte. Da dachte ich mir: Was ist das für eine Welt - ich studiere den Text von 'Torquato Tasso', wälze da ganz königliche Probleme, bediene eine minutiöse Feinmechanik, und da ziehen die empörten Muslims vorüber?"

Tasso fällt kopfüber auf die eigene Illusionskunst herein. Er liefert auf dem Sommersitz des Herzogs von Ferrara ein noch tintenfeuchtes Manuskript bei der Schwester des Potentaten ab. Man drückt ihm dafür einen Lorbeerkranz auf die Stirn. Ab jetzt ist Tasso nicht mehr zu halten: Er glaubt, das Herz auf der Zunge tragen zu müssen. Er wirbt um die Gunst des Staatssekretärs Antonio (Michael Wittenborn), als wäre der ein kichernder Backfisch. Tasso kann die Sphären nicht mehr auseinander halten. Er stürzt herab vom Olymp.

Hochmair, der zum beruflichen "Chill-out" die Prater-Hauptallee mit einem uralten Fahrrad auf- und niederstrampelt: "Goethes Torquato Tasso ist ein soziales Experiment. An diesem Hof müssen fünf Leute unterschiedlichen Ranges und Standes miteinander auskommen. Ich weiß gar nicht, ob sich Tasso selbst verkennt: Ich kann mich in seinen Problemen sehr gut wiederfinden. Als Künstler muss er sich doch selber ernst nehmen."

Tasso produziere, wie jeder Künstler, Überschüsse: "Er ist mit seinem Stück fertig, und seine ganze, brach liegende Produktivität verlagert sich daher in den sozialen Konflikt." Künstler, so legt das Schauspiel zumindest in Teilen nahe, sollen sich aus dem Leben gefälligst heraushalten. Das käme einem wie Hochmair niemals in den Sinn. Da sei das Fahrrad vor. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24.2.2006)