Gennadij Ajgi

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Moskau – Gennadij Ajgi wird 1934 im Dorf Schajmurshino in der Tschuwaschischen Autonomen Sowjetrepublik an der mittleren Wolga geboren. Der Besuch des Moskauer Gorkij-Instituts für Weltliteratur ab 1953, im Jahr von Stalins Tod, endet mit einem Schauprozess: den Gedichten wird "Verletzung der Regeln des Sozialistischen Realismus", Ajgi die Lektüre von Nietzsche und Rilke vorgeworfen.

Ein bis 1989 gültiges Publikationsverbot zwingt ihn zur Veröffentlichung seiner Werke im Westen, Unterstützung findet der Undergroundautor bei Förderern wie dem Pianisten Swjatoslaw Richter, dem Avantgardedichter Alexej Krutschenych oder Boris Pasternak, auf dessen Anregung hin er auf russisch zu schreiben beginnt. In insgesamt elf, in zahlreiche Sprachen übersetzten Büchern mit Titeln wie Hier, Wind vorm Fenster, Auf Feldern Rußlands oder Gesang: Zur Vollendung entwickelt er ausgehend von traditioneller tschuwaschischer Folklore eine Form konstruktiver Lyrik, die immer mehr auf verblose Verkettung von Wortkaskaden und Verknappung abzielt. Neben Vorbildern wie dem Surprematisten Kazimir Malewitsch bleibt die Landschaft der Kindheit ständiger Bezugspunkt: "wie ein göttliches metronom /phosphoreszierend / ein Wilder Apfelbaum / mit namen Kindheit".

Wer Ajgi je sein kürzestes Gedicht "Genügsamkeit des Selbstlauts!" lesen gehört hat, weiß, warum er Dichtung als "eine Art sakraler Handlung" verstand. Das nur aus einem lang gezogenen "a" bestehende Gedicht entfaltet seine Wirkung "zwischen den Schulterblättern" und ist zugleich eine jener "Hieroglyphen Gottes", als welche er seine Dichtung überhaupt intendierte.

Ein "weißes Schweigen", das er – anlässlich des Todes der Mutter – folgendermaßen zum Gesang erhebt: "und die flocken / bringen und bringen immer wieder / die hieroglyphen gottes zur erde."

Ajgis mehrfach für den Nobelpreis nominiertes Werk bezeichnete Roman Jakobson als wichtigste Leistung russischer Dichtung in der zweiten Hälfte des 20 Jahrhunderts.

Am Dienstag ist Gennadij Nikolajewitsch Ajgi im zweiundsiebzigsten Lebensjahr in Moskau gestorben. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23.2.2006)