Sinta

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Childe Harold war schon da - und schwärmte. Von Sintra nämlich, dem "Garten Eden", dem "schönsten Städtchen der ganzen Welt".

Als "Childe Harold's Pilgrimage" beschrieb George Gordon Noel Lord Byron 1812 seine eigenen Reiseerlebnisse in Portugal, Spanien, Malta, Albanien und Griechenland.

Sintra hat den hemmungslosen Dichter schwer beeindruckt. Dabei stand der höchste Wahnsinn des Städtchens noch gar nicht.

Just ein Deutscher - gut, denken wir an Neuschwanstein - trieb ihn hier auf die Hügelspitze. Prinz Ferdinand von Sachsen Coburg-Gotha kaufte 1839 die Reste des Klosters Nossa Senhora da Pena und baute die weiland weihevolle Stätte um in den Palácio da Pena, für den wilder Stilmix eine ärmliche Untertreibung wäre. Zwiebeltürmchen und Bonbonfarben, natürlich viele davon, Torwärterhäuschen wie Nietenarmbänder, an deutsche Traditionen gemahnende Fensterläden, Uhrturm, über einem der großen Torbögen ein riesiger, comichafter Neptun.

Wer ob solcher Fülle nicht schlafen kann, dem erspart hier eine fitzelig-manuelinische Decken- und Wandverzierung jeden Gedanken an springende Schafe.

Die Windsors, bekannt verwandt mit den Sachsen-Coburg-Gothas, haben ja auch so ihre Marotten. Vor allem die Gemahle der Königin. Das war eben auch Ferdinand, nur statt Elizabeth II die damalige portugiesische Königin Maria II.

Als Sommerresidenz höchster portugiesischer Hoheiten hat Sintra Tradition schon seit dem 14. Jahrhundert. Damals stellte Joao I. den Hauptteil seines Palastes unten ins Tal.

Spießige Küche

Auf dem Weg hinunter von Palast zu Palast nicht auslassen: Das Castelo dos Mouros, weit gehend von der Natur zurückerobert, aber mit großem Ausblick über die Küste.

Leicht lässt sich dann unten am Stadtpalast erkennen, was dem Herrscher besonders am oder unter dem Herzen lag: Wie zwei riesige Kegel überragen den Palácio Nacional de Sintra die Schornsteine seiner Küche. Treffender: die Palastküche in den gewaltigen Schornsteinen, deren oben verjüngte, unten bauchige Mauern bis zum Boden reichen. Die Kombüse im Rauchfang. Über allem Kochen ist Dunstabzug, praktisch eigentlich. Nicht minder praktisch: Spieße, so massiv und lang, dass sich eine ganze Kuh darauf ausgehen dürfte.

Wo wir schon beim Thema sind: Keine fünf Minuten vom Nationalpalast empfiehlt sich in einer schmalen Seitengasse ein recht rustikales Wirtshaus namens Tulhas hungrigen und sehr hungrigen Menschen mit Sinn für ziemlich köstliches, ziemlich verschwenderisch aufgetischtes Fleisch. Fisch haben sie natürlich auch im Programm, zum Meer ist es ja nicht weit.

Auf dem Weg zur See aber noch ein, zwei Stunden durch die nächste Spielwiese eines reichen Mannes: Quinta de Regaleira. Der Brasilianer Antonio Augusto Carvalho Monteira stellte mit dem Bühnenbildner Luigi Manina einen etwas kleineren (Alb-)Traum zwischen Gothik, Renaissance und manuelinischem Stil in den Hang. Den Garten peppte er mit Teichen, Grotten, Aussichtstürmen, römischer Zisterne, Geheimgängen und Tennisplätzchen auf.

Der portugiesische Medienmulti Francisco Capelo wusste sich mit seiner Marie anderes anzufangen: In Lissabon füllt seine Sammlung das Designmuseum, in Sintra bestückte er das Museu de Arte Moderno mit Man Ray, Pollock, Picasso, Warhol.

Spätestens hier verblasst die österreichische Sommerfrische Semmering, an die Sintra den Wiener anfangs erinnert. Wer würde den heimischen "Zauberberg" mit dem Garten Eden verwechseln? Sintra hat eben den klaren Klimavorteil am Meer, mit schützenden Hügeln.

Byrons Eden liegt vier Kilometer vom Zentrum Sintras: Palácio de Montserrate, Stein gewordene Romantik und Dekadenz mit Garten voller subtropischer Pflanzen aus aller Welt. Durch den soll der Dichter nackt mit gerußtem Kopf und Körper durch die Wälder getanzt sein für eine "schwarze Pflanzenmesse".

Man muss selbst hier nicht jeden Wahnwitz mitmachen. (Der Standard, Printausgabe 18./19.2.2006)