Sandra Hüller in Hans-Christian Schmids Wettbewerbsbeitrag "Requiem".

Foto: Berlinale
Die Programmierung des Berlinale-Wettbewerbs wirkt mitunter punktgenau gewählt: Da lief der Guantánamo-Film parallel zum UNO-Bericht über das US-Internierungslager, und nun der Fußballfilm als Vorschein des nächsten (pop-)kulturellen Großereignisses auf deutschem Boden - der WM, für welche sich die iranische Nationalmannschaft in Offside von Jafar Panahi gerade qualifiziert.

Fans im Abseits

Allerdings steht nicht das Geschehen auf dem Rasen im Teheraner Azadi-Stadion im Mittelpunkt, fokussiert werden die Zuseher, genauer: jene Hand voll Zuseherinnen, die versuchen, sich über die Vorschrift hinwegzusetzen, welche Frauen den Besuch von Fußballspielen verbietet. Hinter einer Mauer, zwischen Absperrungen werden sie von jungen Soldaten festgehalten.

Zuvor hatte man gesehen, mit welchen Tricks die weiblichen Fans die Kontrolleure zu überlisten trachteten, und auch nun wird weiter leidenschaftlich argumentiert - letztendlich gegen eine Ideologie, die unter dem Vorwand des Schutzes und der Wertschätzung doch nur Frauen in ihrer Freiheit einschränkt. Er sei, sagte Panahi anschließend, trotzdem ein sozialer Regisseur und kein politischer. Aber wer sich mit gesellschaftlichen Problemen beschäftige, könne diese auch nicht von politischen Zusammenhängen trennen. Wie in seinen früheren Filmen zeigt Panahi den Gottesstaat und seine Hüter in Konflikt mit der Anziehungskraft weltlicher Vergnügungen.

In Hans-Christian Schmids Requiem, dem vierten deutschen Bärenanwärter, geht es dagegen unter anderem um eine fatale Konsequenz von Religiosität in der sozialdemokratischen Bundesrepublik der 1970er-Jahre:

Schmid erzählt noch einmal - und ganz anders als kürzlich die US-Produktion Der Exorzismus der Emily Rose - von einem wahren Fall vermeintlicher religiöser Besessenheit beziehungsweise von deren "Austreibung", die mit dem Tod der Betroffenen endete.

Der deutsche Regisseur versteht und beschreibt seine Version dieses Falles allerdings primär als "Film über eine Familienkonstellation" - und er beschreibt ein kleinbürgerliches, kleinstädtisches, katholisches Milieu, dem die 21-jährige Michaela (Sandra Hüller) vergeblich zu entfliehen trachtet. Ganz behutsam begleitet Schmid seine lebenslustige, energische, aber auch labile Heldin in einen immer beklemmender werdenden psychischen Ausnahmezustand.

Am Samstagabend werden in Berlin die Preise vergeben. Ob die Jury unter Vorsitz von Charlotte Rampling mit den Bewertungen der internationalen Kritiker übereinstimmt, die zuletzt vor allem die Filme von Robert Altman, Valeska Grisebach, Hans-Christian Schmid oder auch Michael Winterbottom und Mat Whitecross für preiswürdig hielten, das wird heuer erstmals nicht vor Beginn der Zeremonie bekannt gegeben. (DER STANDARD, Printausgabe, 18./19.2.2006)