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STANDARD: Die Zahl der prekären Arbeitsverhältnisse wird immer größer, die Gewerkschaft vertritt viele dieser Beschäftigten gar nicht. Was tun Sie denn überhaupt für diese Leute?

Wolfgang Katzian: Man muss da differenzieren: Da gibt es verschiedenste Gruppen von Arbeitnehmern, etwa ungewollt Teilzeitbeschäftigte, neue Selbstständige. Die neuen freien Dienstverträge dienen meistens der Umgehung von legalen Angestelltenverhältnissen. Aber man kann die neuen Arbeitsverhältnisse nicht pauschal verdammen, es gibt unterschiedliche Lebenskonzepte und auch Leute, die freiwillig in Teilzeit arbeiten und freiwillig als Selbstständige tätig sind. Wir erleben insgesamt, quer durch den Gemüsegarten der Gewerkschaften, dass sich die Erwerbsbiografien der Menschen verändern: Arbeitnehmer – ein Leben lang? Das spielt es heutzutage nicht mehr. Und genau das ist eine große Herausforderung für unser Sozialsystem.

STANDARD: Und die Gewerkschaft kann nichts tun, weil sie nicht zuständig ist für diese Leute.

Katzian: Natürlich beißen sich die neuen Verhältnisse mit den alten Strukturen: Da hatten wir ein Unternehmen, einen Betriebsrat und daher Mitbestimmung. Das gibt es jetzt oft nicht mehr.

STANDARD: Diese Entwicklung zeichnet sich ja schon lange ab, warum hat die Gewerkschaft sie verschlafen?

Katzian: Die Gewerkschaft hat weder verschlafen, noch sind wir zu spät dran – obwohl ich schon zugebe, dass wir anfangs gedacht haben, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Aber die GPA hat schon vor fünf Jahren begonnen, die neuen Arbeitnehmer zu organisieren: Sie schließen sich, je nach ihrem Tätigkeitsbereich, zu Interessengemeinschaften zusammen, derzeit gibt es 11.000 Leute, die in sieben solchen Interessengemeinschaften organisiert sind. Für sie gibt es die Möglichkeit, Gewerkschaftsmitglied zu werden, und so können und sollen sie auch unseren Schutz und unsere Beratung in Anspruch nehmen.

STANDARD: In den Genuss von Kranken- oder Arbeitslosenversicherung kommen diese Beschäftigten trotzdem nicht.

Katzian: Das stimmt. Daher sind die Ausdehnung des Arbeitnehmerbegriffs und die arbeits- und sozialrechtliche Gleichstellung auch unsere politische Forderung. Womit wir wieder an der Wiege der Arbeiterbewegung gelandet wären.

STANDARD: Wer sind denn Ihrer Meinung nach die Schutzwürdigsten der Working Poor?

Katzian: Die, die ungewollterweise nur Werkverträge bekommen, und das sind sehr viele. Insgesamt gehen wir davon aus, dass das die Hälfte aller Werkvertragsnehmer ist, also rund 20.000 Leute.

STANDARD: Kann man nicht auch argumentieren, dass es für sie besser ist, so zu arbeiten, als gar keinen Job zu haben?

Katzian: Ich kann das nicht. Diese Leute arbeiten und verdienen zu wenig, um leben zu können. Wenn uns dagegen nichts einfällt, bekommen wir Verhältnisse wie in den USA, wo an den Kassen der Supermärkte alte Leute stehen, die den Kunden das Einkaufssackerl anfüllen und böse sind, wenn einer das selbst macht, weil er damit ihren Job gefährdet. Die Gesellschaft und letztlich die Wähler müssen entscheiden, ob sie so leben wollen. Ohne neue Wirtschaftspolitik geht die Entwicklung so weiter – und zwar ungebremst. Aber wir können in diesem Fall nur mobilisieren. (DER STANDARD, ALBUM, 18./19.2.2006)