Der Punk wurde erst durch sie stilsicher, heute vergnügt sich Vivienne Westwood in den Modearchiven.

Foto: Westwood

"I am not a terrorist, please don't arrest me", hat Vivienne Westwood auf ihre T-Shirts für den kommenden Sommer drucken lassen, als gelte es, damit ein Missverständnis aus dem Weg zu räumen. Mit Parolen auf T-Shirts hat sie angefangen, zu Beginn der 1970er-Jahre im Kartoffeldruckverfahren auf den Stoff gebracht, mit Parolen auf T-Shirts zieht sie nun ins Museum ein - und mit Rembrandt. Während die Masse sich mit Ikonen schmückt, die der Markt ihr verordnet, hat Vivienne Westwood auf den alten Niederländer geguckt und ihn zum Leitbild ihrer aktuellen Kollektion erkoren.

Skepsis gegenüber dem Commonsense

Ein Rembrandt-Selbstbildnis also auf Westwood-T-Shirts, und außerdem noch das Kürzel "AR", das für das von der bald 65-jährigen Modemacherin ausgedachte "Active Resistance to Propaganda"-Programm steht, eine Haltung, die sich gegen die Propaganda der Märkte und den "Konsumterror" (Westwood) zur Wehr setzt. Sogar ein eigenes Manifest (siehe www.viviennewestwood.com) hat die "Punk-Lady" verfasst: Darin plädiert sie für Skepsis: gegenüber allem und allen und insbesondere gegenüber dem Commonsense.

Sich gegen Orthodoxien aufzulehnen war von Anfang an Vivienne Westwoods Programm, wobei ihr die Rebellion, so beteuert sie, nie Selbstzweck war - vielmehr ein Verfahren, eine neue Ästhetik zu definieren, einen eigenen, innovativen Schönheitsbegriff: "All diese Klamotten, die die Leute so schockierten", sagte sie einmal, "trug ich nur, weil ich dachte, ich sähe darin aus wie eine Prinzessin von einem anderen Stern."

Ausdrucksweisen

Ihr Anderssein hat die Prinzessin, deren Insignium bis heute der von einem Saturnring umzirkelte Reichsapfel ist, bekanntlich immer plakativ zur Schau getragen, ihre Weltanschauung transportierte sie per Applikation und Aufdruck: Neben Parolen auf T-Shirts - "Too fast to live, to young to die", "Only Anarchists Are Pretty", oder auch bloß "Rock" und "Fuck" aus aufgenähten Hühnerknochen - ließ Westwood auch Penisse auf Damenschlüpfer drucken, Boucher-Gemälde auf Korsetts und Krawatten, die gesammelten Buchrücken ihrer Hausbibliothek auf ein Kostüm oder Filmstills aus "Blade Runner" auf einen Glockenrock.

In der Londoner King's Road Nummer 430 führte sie mit Malcolm McLaren (heute ist sie mit dem 1969 geborenen Tiroler Andreas Kronthaler verheiratet) den Laden, der je nach Kollektion nicht nur den Namen wechselte - 1971: "Let it Rock", 1972: "Too Fast to Live . . .", 1974: "SEX", 1977: "Seditionairies", ab 1980 schließlich "World's End" -, sondern das komplette Einrichtungskonzept. Hier wurden, jenseits der Laufstege, in ein gesamtkunstwerkartiges Umfeld gebettet, die neuesten Lebensanschauungen, gezielten Tabubrüche und programmatischen Geschmacklosigkeiten präsentiert - und verkauft.

"SEX"-Konzept

In einem Promotionvideo, das 1974 das "SEX"-Konzept dokumentiert und derzeit in Düsseldorf in einer großen Westwood-Retrospektive zu sehen ist, demonstriert die Stammkundin Jordan, dass Gummihöschen durchaus tragbar sind. (British Rail, berichtet die Kuratorin der Retrospektive, Claire Wilcox, habe der regelmäßig aus Seaford Anreisenden allerdings zu ihrem eigenen Schutz ein Erste-Klasse-Abteil zugewiesen).

Der Laden war Konzeptschmiede von Gegenkultur und Treffpunkt einer Elite der Eigenwilligen, die den Punk über Bord warf, als er zum Mainstream wurde. "Früher waren es die Punk-Klamotten", sagt 1977 eine des Punk überdrüssige Westwood über ihre Zeitgenossen und sich selbst, "jetzt müssen sie einen Schritt weiter gehen und sich eine Aura von Gold, Reichtum und Macht zulegen."

Quer durch die Jahrhunderte

Westwood selbst studierte das an Porträts des 18. Jahrhunderts ebenso wie beim verehrten Christian Dior: Sie nahm Korsetts und Glockenröcke wieder auf, übersteigerte, verzerrte und kombinierte mit Anleihen aus der Mode quer durch die Jahrhunderte. Piraten inspirierten sie wie das Prinzess-Kleid der Queen; sie verkürzte den Reifrock zum Mini ("Mini-Crini"), setzte "Hosenbeutel" auf den (Damen-) Schritt, platzierte Polster und Turnüren auf Hintern und Brüsten; den Palastinterieurs entlehnte sie schwere Kordeln, üppige Schleifen und florale Ornamente, den Schotten die Karos, dem Rokoko die Dekolletés.

Westwood hat sich längst zur Grand Dame gemausert. Sie hat den britischen Ritterorden erhalten und schwört mittlerweile auf die Hochkultur. Unglücklich nur, dass Westwoods Rembrandt-T-Shirt-Kollektion ausgerechnet ins Rembrandt-Jahr fällt: Den Rembrandt-Konsum-Terror, der sich abzuzeichnen beginnt, potenziert sie, anstatt sich zu widersetzen. Ist sie vielleicht doch eine heimliche Terroristin?
(Mirja Rosenau/Der Standard/rondo/17/02/2006)