Es war einmal ein Stabilitätspakt, der alle Eurostaaten bei Strafandrohung dazu verpflichtete, ihre Budgetdefizite unter drei Prozent zu halten. Als aber mehrere große Staaten diese Grenze überschritten hatten und auch keine Strafen zahlen wollten, wurde er still und leise zu Grabe getragen.

Es war einmal ein junger Finanzminister, der seinem kleinen Land ein Nulldefizit bescherte. Das war ein toller Propaganda-Coup, doch als bald darauf die Konjunktur einbrach und die Steuern immer spärlicher sprudelten, kehrte der Minister schon ein Jahr später zum Schuldenmachen zurück.

Man ist nur einmal im Leben Präsident

Eines Tages fand sich dieser Minister im EU-Präsidentensessel wieder und gebar dabei eine tolle Idee: Warum soll er nicht das Nulldefizit, mit dem er zu Hause gescheitert war, nun der ganzen EU vorschreiben - punktgenau für das Jahr 2010? Das klingt doch gleich viel besser als so ein verstaubter Stabilitätspakt. Dass die anderen Länder lautstark protestierten und sich die meisten Ökonomen ob dieses Vorschlags auf den Kopf schlugen, spielte keine Rolle: Schließlich ist man nur einmal im Leben Präsident. Den Zuchtmeister Europas zu spielen kommt im eigenen Wahlkampf gut an - und ist außerdem einfacher, als die eigene Verwaltung einmal ernsthaft zu durchforsten und damit die Voraussetzungen für ein strukturelles Nulldefizit zu schaffen oder die Abgabenquote auf jenes Niveau zu senken, das man seit sechs Jahren verspricht.

Anders als in seiner Heimat wurde der fesche Minister in der EU bis dahin noch ernst genommen. Und auch in den ersten Wochen der Präsidentschaft hat er eine ganz gute Figur gemacht. Doch für ökonomisch unsinnige Worthülsen wie diese haben andere Finanzminister wenig Verständnis. Karl-Heinz Grassers Märchen vom Nulldefizit wird zunehmend zur Farce. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15.2.2006)