Das Gewissen, vor allem das christliche, wurde in den letzten Tagen in der Slowakei wieder einmal zum Topthema: Zwei christdemokratische Regierungspartner hatten sich über den Text des so genannten Vatikanvertrages über Gewissensvorbehalte dermaßen zerstritten, dass sie dafür vorzeitige Neuwahlen in Kauf nahmen. Ob nun Premier Mikulás Dzurinda und dessen christliche SDKÚ und die christliche KDH von Pavol Hrusovský die Gewissensfreiheit im Beruf nur als Einstieg in einen frühzeitigen Kampf um Wählerstimmen genutzt haben oder nicht, Tatsache bleibt: Der vierte Zusatzvertrag mit dem Vatikan polarisiert die slowakische Gesellschaft schon seit Jahren.

Zwei unversöhnliche Lager - eines sehr liberal, das andere sehr konservativ - haben sich formiert. Beide haben ihre festen Anhänger, ersteres überwiegend in größeren Städten, zweiteres in ländlichen Regionen. Und jedes ist selbstverständlich auch im Internet präsent. "Möglichkeit der Wahl" nennt sich die Organisation der bekannten Frauenrechtlerin Olga Pietruchová und die dazugehörige Internetseite.

"Nicht ins Mittelalter"

Gegner des Vatikanvertrages können durch einen einfachen Mausklick Pietruchovás Offenen Brief an Premier Dzurinda unterstützen. "Wir lehnen den Vertrag entschieden ab", heißt es darin, mit seiner Umsetzung würden systematisch die von der Verfassung garantierten menschlichen Grundrechte verletzt. Das Forum der Seite ist voll von überwiegend begeisterten (und überwiegend weiblichen) Reaktionen. Denn viele Gebiete, die der Vatikanvertrag regeln sollte, betreffen ja vor allem Frauen: Durchführung eines Schwangerschaftsabbruches, künstliche Befruchtung oder Verhütung könnten komplizierter werden. Resümee der Reaktionen: Wir wollen nicht zurück ins Mittelalter.

Die Befürworter des Vertrags setzten auf organisierten Druck. Eine Petition, mit der die Regierung gezwungen werden sollte, die Gewissensklausel schnellstens anzunehmen, hatten zu Jahresanfang mehr als 100.000 Menschen unterschrieben. "Wir zwingen niemanden zu etwas. Nur wollen wir auch niemanden zwingen, gegen sein Gewissen zu handeln", meinte Pavol Kossey vom Forum der christlichen Institutionen zum Sinn der Unterschriftensammlung. Wann die Aktion beendet wird, steht noch nicht fest, auch wenn eine rasche Annahme des Vatikanvertrages derzeit kaum vorstellbar ist. Natürlich antworteten Vertragsgegner, unterstützt von liberalen Politikern, sofort mit einer Gegenpetition.

Langjährige Praxis

Nebenbei: Einige überwiegend katholische Regionen im Norden der Slowakei scheinen weder Vatikanvertrag noch Diskussionen oder irgendwelche gesetzlichen Regelungen zur Gewissensfreiheit zu brauchen. Erst jüngst berichteten slowakische Zeitungen über Frauenärzte in der Region Orava, die unter anderem Schwangerschaftsabbrüche schon seit sozialistischen Zeiten ablehnen - nicht aus Glaubensgründen, sondern aus Ehrfurcht vor dem Leben. Im Krankenhaus von Trstená wird Frauen gleich empfohlen, für solche Eingriffe eine andere Einrichtung aufzusuchen. (DER STANDARD, Printausgabe 13.2.2006)