Der Film "Elementarteilchen" vom deutschen Regisseur Oskar Roehler mit Martina Gedeck und Moritz Bleibtreu.

Foto: Berlinale
US-Regisseur Robert Altman, der nächste Woche 81 wird, ist seit Jahrzehnten ein Verfertiger kunstvoll verzahnter, vielstimmiger Erzählungen. Den äußeren Rahmen dafür liefert jeweils ein bestimmtes soziales oder berufliches Umfeld. Die dazugehörigen Funktionen, Codes und Rituale geben die Charaktere, deren Verhaltensweisen und mithin die (episodische) Erzählung vor.

Parallelaktion

Dieses Modell erlaubt zum einen Teilhabe am glamourösen Mehrwert mancher Branchen - wie etwa des Modezirkus (Pret-a-porter, 1994). Zum anderen taugt es immer noch zu kritischen Interventionen - so wurde etwa 2004 Tanner '88 aktualisiert, als Altmans fiktive Parallelaktion zum US-Präsidentschaftswahlkampf mit allem was an Kandidaten, Lobbyisten, Spin Doktoren usf. dazu gehört. Oder aber es scheint sich schlichtweg um Herzensprojekte zu handeln, wie bei A Prairie Home Companion, den Altman am Sonntag bei der Berlinale vorstellte:

Im Vorspann stehen da die Namen der Schauspieler wie Sterne am Himmel: Meryl Streep, Kevin Kline, Lindsay Lohan, Lily Tomlin, Woody Harrelson oder John C. Reilly. Mitten drin ein Garrison Keillor - und der ist seit 1974 der echte Gastgeber jener Live-Radio-Show, der der Film seinen Titel verdankt.

Eine "letzte Show"

Der ganz unspektakuläre, aber durchweg charmante und auch reichlich wehmütige Film dreht sich dann um eine "letzte Show", um alternde Sangeskünstler und um ein längst ausgestorbenes Radioformat, in dem rund um den zu bewerbenden Rhabarber-Kuchen noch Songzeilen mit "Rubapereepop" gedichtet werden. Oder Streep und Tomlin als zwei verbliebene von einst vier Johnson Sisters singend das Andenken an Mama hochhalten. Oder Harrelson und Reilly ein nicht enden wollendes Lied über schlechte Witze zum Besten geben.

Edel-Soap

Das ergibt dann zugleich eine Art von brillant getexteter und gespielter Edel-Soap (diese Bezeichnung verdankt sich schließlich auch den sponsernden Seifenfabrikanten, die Johnson Sisters singen eben courtesy of Butterkeks) und bisher das schönste große Kino auf der Riesenleinwand im Berlinale-Palast.

Star-Gedrängel oder . . .

Das größte Aufgebot an deutschen Stars davor, auf dem roten Teppich, bescherte der Berlinale hingegen Oskar Roehler: Der Drehbuchautor und Regisseur (zuletzt Agnes und seine Brüder) hat sich für seinen jüngsten Film Michel Houellebecqs Roman Elementarteilchen angeeignet.

Das heißt, er hat das 1998 veröffentlichte, heftig diskutierte Werk gewissermaßen ausgeweidet, die Figuren und Teile der Erzählung entnommen, den entschieden pessimistischen Tonfall des Autors jedoch zugunsten einer tragikomischen Männer-Entwicklungsgeschichte abgeschwächt: Michael (Christian Ulmen), Molekularbiologe, kündigt zu Anfang seine Stelle, um sich erneut seinem eigentlichen Lebensprojekt, der Forschung über die Reproduktion von Lebewesen ohne sexuellen Kontakt zuzuwenden. Sein Halbbruder Bruno (Moritz Bleibtreu) dagegen entflieht akuten sexuellen Nöten und diversen Zurückweisungen vorübergehend in die Psychiatrie. Währenddessen wird über Rückblenden die Vergangenheit der beiden als einsame, von Mama vernachlässigte Teenager anschaulich gemacht. In ihrer Gegenwart werden sie beide doch noch die Liebe ihres Lebens finden - auch wenn davon in einem Fall nur ein tröstliches Trugbild bleibt.

Einerseits gelingen Roehler vor allem via Zusammenspiel von Moritz Bleibtreu und Martina Gedeck großartig intensive Momente zweier unerwartet Liebender - zwischen Abgeklärtheit und bedingungsloser Hingabe. Andererseits bleiben die Charaktere dennoch Kunstfiguren, ihre Welt seltsam artifiziell und wenn am Ende des Films ein Schwenk plötzlich den Blick auf einen ganz normalen, belebten Badestrand öffnet, dann ist man tatsächlich einen Moment lang irritiert von diesem augenfälligen Gegensatz.

. . . Teppichabstinenz

Irritierend gestaltete sich im übrigen auch Terrence Malicks Gastspiel an der Spree: Die Premiere und Pressekonferenz von The New World fanden fast erwartungsgemäß ohne den angereisten, spröden Filmemacher statt. Dabei hätte sein jüngster, vierter Film Anlass zu vielen Fragen gegeben: Ins Zentrum desselben hat Malick Captain Smith (Colin Farrell) und Pocanhontas (Q'Oriana Kilcher) gestellt, den britischen Kolonisten und die indianische Prinzessin, die der Legende nach eine große Liebe verband.

Der dritte Protagonist ist die (Natur-)Landschaft, mit der Malick diese Erzählung untrennbar verwebt - um in abschnittweisen Spiegelungen, von Ankunft und Landnahme, von der Initiation in die fremde Kultur, dann von der Verwilderung der zivilisierten Neuankömmlinge und schließlich im Gegenzug von der Domestizierung der vermeintlichen Wilden zu berichten. Was mindestens für produktives Befremden sorgt.

Leider läuft der Film außer Konkurrenz. Denn von dem, was im Wettbewerb bis dato aufgeboten wurde, ist The New World eindeutig die Arbeit, die filmisch am meisten riskiert. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13.2.2006)