Es ist weniger die Einschätzung einer im globalen Maßstab unsicherer gewordenen Welt, sondern vielmehr die daraus gezogenen Konsequenzen, die im "Fall Reiter" die ExpertInnen und die Öffentlichkeit zutiefst empören und zornig machen.

Angesichts des Mangels an klassischen militärischen Bedrohungen für Österreich gehört es für wichtige Teile der heimischen Militärs zum guten Ton, die globalen Bedrohungen beängstigend zu überschätzen und das Heil in der gegenwärtigen Militarisierung der EU zu suchen.

Und Erich Reiter zählt schon beinahe traditionell zu den Speerspitzen, wenn er schon 2001 betont hat, es gehe bei den Aufgaben des Bundesheeres u.a. um die "Kooperation mit den USA und mit Japan zum globalen Management von Konflikten und zwecks Zugangs zu strategischen Rohstoffen, der Aufrechterhaltung freien Handels und der Schiffahrt". Diesem Gedankengut entspringt nun im Orchester anderer Euro-Militärs, dass "alle EU-Völker" an der Atombombe teilhaben sollen.

Mit gutem Grund weist die Linzer Werkstatt Frieden und Solidarität auf eine Aussage des luxemburgischen Premierministers Jean-Claude Juncker hin: "Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt."

Das "Geschrei" blieb in diesem Fall nicht aus. Zu den auf "Geschrei" wartenden Fällen zählt nicht nur die in der EU-Verfassung vorgesehene Aufrüstungsverpflichtung, der globale militärische Interventionismus, die trotz negativer Bevölkerungsvoten bereits arbeitende EU-Rüstungsagentur oder die militärische EU-Beistandsverpflichtung.

Das von der EU im Sog einer neoimperialen US-Kriegspolitik zur Ausarbeitung in Auftrag gegebene "European Defence Paper" entwickelt Szenarien "in denen die nationalen Atomstreitkräfte von EU-Mitgliedstaaten (Frankreich und Großbritannien) entweder explizit oder implizit in die Planung einfließen können".

Die Empörung über Reiter hat mehrere Gründe. Es ist nicht nur die Ablehnung eines militärisch geprägten Weltbildes, das Negieren der Einstellung der österreichischen Bevölkerung sowie die Ausklammerung ziviler Konfliktlösungsmöglichkeiten. Die Ablehnung der sogenannten "zivilen" und militärischen Nutzung der Atomkraft ist hierzulande ein nationaler Konsens.

Es liegt auch im Interesse des neutralen Österreichs, den UNO-Standort in Wien durch eine Stärkung der Abrüstungsbemühungen aufzuwerten. Sowohl die Atomenergiebehörde (IAEA) als auch die nukleare Teststopporganisationen (CTBTO) sind zentrale Bausteine gegen neuerliche tödliche Rüstungsspiralen. Alle Atombombenstaaten haben sich nach dem Nichtweiterverbreitungsvertrag (NPT) verpflichtet, vollständig abzurüsten.

Dem von den politischen Eliten erklärte Friedensanspruch der EU könnte durch ernstgemeinte Abrüstungsschritte in der Intention einer gesamteuropäischen Öffentlichkeit nähergekommen werden. Statt sich gedanklich in die strategischen Überlegungen der atomaren Kalten Krieger hochzurüsten und "die Atombombe im Ernstfall auch einsetzen [zu] wollen" (Reiter in "News" 6/2006), wären Initiativen zur politischen Belebung der Genfer Abrüstungskonferenz (CD) höchst an der Zeit.

Österreich findet mit seinem Verfassungsgesetz für ein "atomfreies Österreich" dafür nicht nur innerhalb der EU viele Partner, sondern findet sich mit einer breitesten Mehrheit der internationalen Staatengemeinschaft in einem Boot. Die in Österreich bereits verwirklichte Zukunftsvision ist eine nach zahlreichen globalen Vorbildern zu schaffende nuklearwaffenfreie Zone Europa.

Es liegt nicht nur im Interesse der Bevölkerung, sondern es ist friedenspolitisch auch Sinne einer globalen und zukunftsfähigen Friedensordnung zu forcieren, dass sich die EU nicht in Richtung eines nuklear gerüsteten "neuen Imperiums" verwandelt. Die zivilen Institutionen, multilateralen Verhandlungsgremien und Verträge zur Abrüstung sind ausreichend vorhanden. Es gilt, diese effektiv zu nützen, sie politisch zu stärken und Abrüstung nicht nur als Verpflichtung für "die anderen" zu betrachten.

Das atomare Muskelspiel hat zudem die drängendsten Fragen der Menschheit wie Hunger, Krankheiten, Klimaveränderung oder die globale Umverteilung von Ressourcen und politischer Mitsprachmöglichkeiten von der Agenda gerückt.