Wien – Ein karger, dunkler Raum voller schlafender Menschen. Wie ein Suchscheinwerfer tastet sich das Kameraauge durchs Zimmer. Es gleitet über Erwachsene, Kinder, nimmt irgendwann ein Baby in einer Wiege aus Margarinekisten ins Visier, um dann religiöse und sentimentale Devotionalien ins Blickfeld zu rücken. Nicht um einzelne Impressionen geht es hier, sondern um ein visuelles Argument, das, in Worten ausformuliert, etwa lauten könnte: Zwischen mangelnder Aufklärung, Kinderreichtum und Armut besteht ein unverbrüchlicher Zusammenhang.
In die quasidokumentarische Schilderung eines bedrückenden Alltags, zwischen Schriftinserts, die dazu die entsprechenden Zahlen (über Lebensbedingungen, Gesundheitszustand u. ä.) liefern, ist auch eine fragmentarische Spielfilmhandlung eingefügt: Ein junger Mann, der als Weber gerade eine Lohnkürzung hinnehmen musste, will sein Glück im Bergbau versuchen. Allein und mittellos in der fremden Stadt kommt er im Winter fast zu Tode. Eine junge Witwe nimmt ihn auf. Auch in ihrem Haushalt ist das Geld knapp, rundum drohen Demütigung und Delogierung.
Um's tägliche Brot (Alternativtitel: Hunger in Waldenburg, 1929) von Phil Jutzi, ein Schlüsselwerk des proletarischen Kinos, wurde in seiner jetzigen Fassung vom Bundesarchiv-Filmarchiv Berlin wiederhergestellt. Von der Rekonstruktionsarbeit künden unter anderem englischsprachige Zwischentitel. In Wien ist der Film nun im Rahmen der laufenden Retrospektive von Jutzis Arbeiten zu sehen.
Pionierarbeit
Der deutsche Filmpionier (1896–1946) realisierte in der Zwischenkriegszeit Klassiker wie Mutter Krausens Fahrt ins Glück (1929) oder Berlin Alexanderplatz (1931) mit Heinrich George, jedoch auch Genrefilme – Krimis, Komödien, Western – und in den frühen 40ern, im Solde der Reichspost-Fernseh-Gesellschaft, erste Fernsehspiele.
Zum Teil arbeitete Jutzi auch für die Prometheus-Film, eine maßgebliche Produktions- und Vertriebsfirma des proletarischen Kinos, der der zweite Monatsschwerpunkt im Metro-Kino gewidmet ist: 1924 in Wien gegründet und ein Jahr später um eine Filiale in Berlin erweitert, verleiht die Prometheus zum einen sowjetische Produktionen wie Sergej M. Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin. Zum anderen soll sie, mit finanzieller und ideologischer Rückendeckung aus Moskau, die Aufgabe übernehmen, ein deutschsprachiges proletarisches Kino aufzubauen.
Das heißt Filme herstellen, deren Helden und Erzählungen sich an realen Erfahrungen und Lebensumständen der Arbeiter orientieren, und mit diesen Filmen zugleich politische Aufklärung im Sinne des Sozialismus betreiben. Ästhetisch nimmt man nicht selten Anleihen bei den sowjetischen Vorbildern.
Allerdings zeigt die Filmwissenschafterin Evelyn Hampicke anhand von Um's tägliche Brot (keine Prometheus- Produktion) auch, wie sich etwa Jutzi und sein Autor und Cutter Lania vom "Russenfilm" emanzipierten. Sie schufen einen "Grenzgänger", der die sowjetische Montagetechnik nutzte und dennoch ein anderes, weit weniger triumphierendes Bild der (Industrie-)Arbeit zeichnete.