Foto: Süddeutsche Cinemathek
Forget Sex. Besser, man sieht sich erstmal „Key Largo“ an. Es ist Sonntag morgens, draußen – in Hamburg, Heidelberg, Landau, Chemnitz – who cares!, da graut’s noch. Es regnet vielleicht oder windet verdächtig. Perfekt. Man ist nicht in Ferien, aber hat die Woche Krieg im Büro hinter sich. Dafür beginnt jetzt „Key Largo“: Ein Hurrikan nähert sich der Südküste Floridas, Karl Freund photographiert in kalkig-grauem, vorgewittrigem Licht, und Bogart hilft Lauren Bacall das Boot am Bootssteg vertäuen.Im Largo-Hotel haben sich Edward G. Robinson und seine Gangster eingenistet. Robinson heißt Johnny Rocco und ist eines Deals wegen mit seinem Schiff aus dem kubanischen Exil zur Insel in den Keys rübergetuckert. Der Gangster hat Heimweh nach Amerika. Aber zu diesem Zeitpunkt weiß Bogart noch nicht, mit wem er’s zu tun hat. Er lernt gerade Bacall kennen (meine Lieblingsszene): Er wirft ihr das Tau vom Bug des Boots übers Wasser hinweg zu. Bacall, auf dem Steg, fängt es auf und legt die Tauschlinge um einen der Pfähle. Und dann ... dann zieht Bogart sich auf dem Wasser – samt Boot und mir, der ich hinter ihm stehe – am selben Seil zu Bacall zurück. Wie anstrengend-leicht: so herangleitend zu ziehen und gezogen zu werden. Die drei, vier Meter durchs Meer zur Anlegestelle zurück. Wo sie wartet, Bacall. Bogart steigt in ihr Bild, hinauf auf den Steg, und da stehen beide wieder im two-shot beisammen. Jetzt kann der Sturm kommen.

Dieses Ziehen und Übers-Wasser-Gezogenwerden:da können mir doch sämtliche Hi-Tech-Movies gestohlen bleiben. Bogart schiebt quasi den Kamera-Dolly, auf dem wir stehen. Und das heißt: Wir sehen (wie Bogart), wer uns bewegt.

Bacall war im übrigen nie schöner als hier. Vor allem ihre Augenbrauen, ihre Augen, nie schöner. Und der Rock, den sie trägt! Der mit den Taschen, in die sie beim Gang auf dem Steg ihre Hände legt! Wie gut ist der Film? So einfach, selbstbewusst und gerissen zugleich, dass er überhaupt nicht weiter gelobt, nicht eingeführt werden sollte, ganz zu entdecken bleibt. Überhaupt müsste man lernen, die großen Filme indirekt zu empfehlen. Ich erinnere mich, dass ich Mitte der siebziger Jahre die Tochter des Gangsters traf, der in „Key Largo“ erwartet wird. „Ziggy“ heißt er im Film; Marc Lawrence: der Schauspieler. Seine Tochter, Anfang zwanzig, hatte rabenschwarzes Haar, eine Schönheit, auf die ich mich nicht konzentrieren konnte. Mir ging’s wie Edward G. Robinson während des Hurrikans: Ich wartete ungeduldig darauf, dass ihr Vater erscheint: einen Moment aus „Key Largo“ live nachzuerleben. (DER STANDARD, Printausgabe)