Löste das Rätsel um die vielen Brüche in der Handlung der "Zauberflöte": der Ägyptologe Jan Assmann.

Foto: STANDARD/Regine Hendrich
STANDARD: Sie haben in Ihrem Buch "Die Zauberflöte" Mozarts Oper "mit historischen Augen" neu gelesen, also mit dem Wissen, das Mozarts Umfeld, vor allem von Ägypten, hatte und sind auf diesem Weg zu einer verblüffenden Neuinterpretation gelangt. Assmann: Die Zauberflöte ist, wie jedes Kunstwerk, in ein geistiges Umfeld eingebettet, aus dem sie hervorgegangen ist. Das ist in ihrem Fall einerseits die Freimaurerei in Wien - Mozart war ein sehr engagierter Freimaurer - und andererseits das Volkstheater, also zwei sehr, sehr gegensätzliche Welten.

Im Lauf der Zeit hat sich die Zauberflöte aus diesem Umfeld emanzipiert, dessen Gedankenwelt ist vergessen und die Oper wurde zu einem Rätsel. Peter von Matt nennt sie ja neben Shakespeares Hamlet und Leonardo da Vincis Mona Lisa das dritte große Rätselwerk unserer Kultur.

STANDARD: Viele Aspekte scheinen unverständlich. Etwa das positive Bild der Königin der Nacht im ersten Teil, das sich im zweiten Akt, für den Zuschauer unmotiviert, in sein Gegenteil verwandelt.

Assmann: Man kriegt den ersten und den zweiten Teil nicht zusammen. Es fängt wie ein Zaubermärchen an und geht wie ein Ritual weiter. Die Ideen, die man heute hat, um dieses Rätsel zu lösen, sind eigentlich drei: Die eine ist die Bruchtheorie - dass Mozart und Schikaneder mitten in der Arbeit ihren Plan umgeworfen hätten, um einem Konkurrenzstück am Leopoldstädter Theater nicht in die Quere zu kommen. Die zweite Theorie ist die Patchwork-These: Die Oper sei ganz bewusst aus heterogenen Elementen zusammengestellt. Wer vieles bringt, wird jedem etwas bringen. Und eine dritte These sieht sie als Schlüsseloper, und in Wirklichkeit ginge es um das Opus magnum der Alchimisten, den Stein der Weisen.

STANDARD: Alle drei Deutungen widerlegen Sie einleuchtend. Sie lesen die Handlung aus der Begeisterung heraus, die die Freimaurer rund um Mozart für antike Mysterien hatten, also für Einweihungsriten, die zu einer geheimen Weisheit leiten. Auch Tamino und Pamina und mit ihnen das Publikum, gehen den Weg von der Illusion zur Sicht der Wahrheit.

Assmann: Die Wiener Freimaurer-Logen waren eine wahre Hochburg der Mysterienforschung. Man hat 13 Abhandlungen über die antiken Mysterien publiziert. Und in dieser Mysterientheorie geht es genau um den Kontrast, der uns heute bei der Zauberflöte so irritiert: den Kontrast zwischen Volksreligion und der Religion der Eingeweihten, in der Oper ästhetisch umgesetzt als Zaubermärchen und Ritual. Die Mysteriendeutung der Freimaurer beinhaltet die These einer politischen Theologie: Die Volksreligion ist ein Polytheismus fiktiver Gottheiten, die man braucht, um einen Staat aufbauen und regieren zu können.

STANDARD: Götter werden bewusst erfunden, um die Menschen dazu zu bringen, Recht und Ordnung einzuhalten?

Assmann: Ja, das geht nicht ohne Götter, und da es sie nicht gibt, muss man sie erfinden. Das gilt auch nicht als Betrug, sondern ist etwas durchaus Gutes, denn man will ja in Frieden leben, und es soll Gerechtigkeit herrschen. Es muss aber, so die Mysterientheorie des 18. Jahrhunderts weiter, immer auch Leute geben, die wissen, dass die Wahrheit ganz anders aussieht: Da gibt es nicht viele Götter, sondern die eine Gottheit oder den göttlichen Urgrund des Seins. Das ist also eine platonische Philosophie.

STANDARD: Das heißt auf die Zauberflöte übertragen?

Assmann: Wenn man sich im Lichte dieser Mysterientheorie die Oper anschaut und weiß, es geht um den Weg eines Einzuweihenden mit den Fiktionen der Volksreligion im Kopf auf dem stufenweisen Weg zur Schau der Wahrheit, so muss der erste Schritt darin bestehen, sich von den Vorurteilen zu lösen.

STANDARD: Die Königin der Nacht, die Drei Damen und ihre Erzählung vom bösen Sarastro symbolisieren also die Volksreligion, deren Reden Tamino, noch verblendet, glaubt?

Assmann: Und das Publikum. Deswegen funktioniert die Oper so gut. Das Publikum macht den gleichen Wandel durch. Wir denken auch: Jetzt wird also Tamino ins Reich des Bösewichts eindringen und die Prinzessin retten. Und dann kommt es ganz anders: Er lässt sich in die Mysterien der Isis einweihen und Sarastro erscheint als Weiser. Der Bruch, der darin liegt, ist eben die innere Wende, der Perspektivenwechsel durch die Schau der Wahrheit. Der Bruch ist also keine Verlegenheitslösung, sondern ein ganz beabsichtigtes Zentralmotiv.

STANDARD: Interessant - und heute hochaktuell - auch der in der Oper nicht explizit ausgesprochene Mysterien-Gedanke der Einheitsreligion.

Assmann: Das ist eine antike Konzeption, aufgegriffen in der Renaissance, aus der sich im 18. Jahrhundert die Vision einer Menschheitsreligion ergibt, die allen Menschen von gutem Willen und gutem Verstand gemeinsam ist - und eben dann die Vielfalt der konkreten Religionen, die alle von der Wahrheit gleich weg sind. Lessings Ringparabel - das ist die Haltung dahinter. Auch die Bibel stellt die Urweisheit auf ihre Weise dar. Man wollte nicht aus der Religion heraus, man wollte nur die eigene Tradition relativieren, die Unterscheidung zwischen der "wahren" Religion und den "falschen" Religionen der Heiden aufheben.

STANDARD: Aufgehoben wird in der Oper, schreiben Sie, auch die strikte Opposition von Adel - Pamina, Tamino - und Volk - Papageno. Auch Papageno wechselt die Sichtweise, wenn er auch nicht die volle Weisheit erlangt. Assmann: Adel und Volk stellen eine Allianz her. Das ist der Wiener Gegenentwurf zur Französischen Revolution. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 31. 1. 2006)