Richard Thompson:
"Front Parlour Ballads"
(2005, Cooking Vinyl, Vertrieb: hoanzl)

Coverfoto: Cooking Vinyl
Der Mann weiß um seinen Ruf: Auf der Rückseite des Covers seines jüngsten, nur zusammen mit einer Perkussionistin eingespielten Studioalbums, „Front Parlour Ballads“, ist Richard Thompson in gediegenem Wohnzimmer-Ambiente zu sehen, wie er mit der Lupe einen Totenschädel mustert. Immerhin zeichnete Thompson bereits als Gründungsmitglied der Folk-Rock-Pioniere Fairport Convention, damals noch keine 20 Jahre alt, für nicht gerade Diesseits-fixierte Song-Klassiker wie das elegische „Meet On The Ledge“ verantwortlich.

Sessions-Jobs unter anderem als Gitarrist für die ersten beiden Platten von Nick Drake, vor allem aber die gemeinsamen Alben mit seiner damaligen Ehefrau Linda, die 1982 in dem Marriage-Break-Up-Album „Shoot Out The Lights“ kulminierten, und die anschließende Solo-Karriere etablierten Thompson vollends als Advokat gebrochener Herzen und Experten für die schattigeren Seiten der Existenz. „Gloom And Doom From The Tomb“ lautete bezeichnenderweise eine von Fans kompilierte Raritäten-Zusammenstellung.

Ein Brite in L.A.

Dass Thompson mit extra trockenem Humor gesegnet ist, davon zeugen indessen nicht nur seine launigen Ansagen bei Konzerten oder die für seine Homepage verfassten „News From Home“, in denen der Brite, der seit rund 15 Jahren in den USA lebt, von seinem Alltag in Los Angeles, inklusive fiktiver und realer Begegnungen mit Gouvernor Arnold, berichtet. (In seiner Freizeit trainiert Thompson eine Fußball-Nachwuchsmannschaft, in der auch Arnies Sohn Wolfgang „Ball Hog“ Schwarzenegger mitspielt.)

Gleich der Opener des neuen Albums, „Let It Blow“, eine Satire auf Celebrity-Hochzeiten, ist ein Musterbeispiel für Thompsons sardonischen Witz. Gleichzeitig ist „Let It Blow“ eines der wenigen Stücke, auf denen der Ausnahmegitarrist, der souverän fast alle Gitarrengenres zitieren kann, zur E-Gitarre greift. Denn eigentlich wollte Thompson zu Hause im Garagenstudio nur neues Equipment ausprobieren.

Herausgekommen ist dann doch ein neues Album. Allerdings eines, auf dem statt dunkel schillernden E-Gitarrenklängen fein ziseliertes Akustik-Gitarrenspiel in der Art des Folk Baroque eines John Renbourn dominiert, nur stellenweise angereichert um Overdubs mit E-Gitarre, Mandoline und Concertina. Debra Dobkin sorgte für zurückhaltende perkussive Begleitung.

Die intime Wohnzimmer-Atmosphäre von „Front Parlour Ballads“ bildet damit einen bemerkenswerten Kontrast zu jener Reihe an Alben, die Thompson ab Ende der 80-er Jahre unter den Fittichen des Sound-Tüftlers Mitchell Froom und mit hochkarätigen Mitgliedern der L.A.-Studio-Mafia (Jim Keltner, Jerry Sheff und weiteren üblichen Verdächtigen) einspielte.

Auf „Front Parlour Ballads“ hat der American Way Of Life kaum Spuren hinterlassen, weder in thematischer noch in musikalischer Hinsicht. Mehr denn je reflektiert Thompson hingegen auf seine britische Heimat, wenn er etwa in „A Solitary Life“ (A life of small horizons/Dull as the pewter sky over North Western Eleven) ein Leben in der Vorstadt imaginiert. Typisch britische Redewendungen durchziehen etliche der neuen Songs, andere Songs sind in bester Folk-Tradition ort- und zeitlos.

Wie mühelos sich Thompson traditionelle britische Musikstile anverwandeln kann, zeigen Stücke wie „Old Thames Side“ oder „The Boys Of Mutton Street“. Während Van Morrison seinen Alben seit Jahren als offenbar unvermeidlichen Schwachpunkt eine selbstmitleidige Attacke auf das böse Musikgeschäft einpflanzt, lässt sich Thompsons wie ein Traditional anmutendes „Row, Boys, Row“ als Allegorie zum selben Thema interpretieren – aber eben nicht nur.

1000 Years Of Popular Music

Für andere Songs wie „How Does Your Garden Grow?“ oder „Cressida“, die auf klassische Verse-Chorus-Bridge-Strukturen verzichten, hat nicht englischer Folk Pate gestanden, sondern die Musik von Komponisten des frühen 20. Jahrhunderts wie Debussy, Satie oder Ravel. Seine weit gefächerten musikalischen Vorlieben hat Thompson zuletzt auch auf dem nur per Mail-Order erhältlichen Live-Album „1000 Years Of Popular Music“, einer gut gelaunten musikalischen Zeitreise von „Oops! I Did It Again“ über Prince und John Lennon bis ins Mittelalter und darüber hinaus, demonstriert. „Er schwingt in einem Gitarrensolo von Irland in den Fernen Osten und wieder zurück“, hat David Byrne einmal zum musikalischen Spektrum Thompsons gemeint.

Von Byrne, neben Elvis Costello oder Michael Stipe einer der vielen Thompson-Fans in der prominenteren Kollegenschaft, stammt auch der Ausspruch, Thompson sei derart gut, dass es ihm ganz Recht geschehe, wenn er nicht so bekannt sei. Mit zwei hervorragenden Konzert-DVDs („Live In Providence“ und „Live From Austin TX“) und dem instrumentalen Soundtrack zu Werner Herzogs neuem Film „Grizzly Man“ hat Thompson im vergangenen Jahr zumindest eine treue Anhängerschaft erfreut, eine CD-Box mit Raritäten aus seiner vier Jahrzehnte umfassenden Musikerlaufbahn ist für dieses Frühjahr geplant. Den Höhepunkt unter seinen jüngsten Veröffentlichungen hat Thompson aber mit den „Front Parlour Ballads“ geliefert: Wer ausdrucksstarken Gesang, konzises Songwriting und ökonomisches Gitarrenspiel schätzt, kann hier einem Meister im Wohnzimmer lauschen. (glicka)