DER STANDARD: Herr Zischler, wer ruft an, wenn einem eine Rolle in einem Film von Steven Spielberg angeboten wird?
Zischler: Der Österreicher Fritz Fleischhacker. Er hat schon das Europacasting für Schindlers Liste gemacht.
DER STANDARD: Mussten Sie danach noch vorsprechen?
Zischler: Nein. Ich weiß nicht, wen Spielberg noch gesehen hat. Er musste ja fünf Männer besetzen. Wenn man von einer festen Größe ausgeht, die sicher Eric Bana war, baut er um eine Figur eine Gruppe, die ein Bild ergibt, das dieser fiktiven Mission entspricht.
DER STANDARD: Wann bekamen Sie das Drehbuch zu lesen?
Zischler: Im Januar 2005 in Los Angeles. Ich habe es an einem Tag für mich gelesen, dann haben wir es mit den damals schon bekannten Schauspielern gelesen. Dann habe ich das Drehbuch wieder abgegeben, und es war klar, dass man im Sommer anfangen würde.
DER STANDARD: Der Grundgedanke des Buchs?
Zischler: In meiner Lesart geht es darum, dass die unbedingte Berechtigung und Legitimität einer solchen Mission auf der einen Seite und der fast unüberwindliche Gewissenskonflikt auf der anderen Seite einen Widerspruch bilden, der sich zuspitzt, unentwegt, auf verschiedenen Ebenen und durch die einzelnen Figuren hindurch.
DER STANDARD: "Munich" hat zwei Gesichter. Einerseits nimmt er das Publikum mit in die Mission. Man kommt nicht umhin, sich damit zu identifizieren.
Zischler: Man kann das die Legitimitätsfalle nennen.
DER STANDARD: Andererseits fällt Avner zunehmend aus der Mission hinaus, seine Verbundenheit mit Israel nimmt ab, am Ende ist er in Brooklyn. Der linke Antizionist Kushner setzt sich durch, wenn man so will.
Zischler: Ich kann mit Israel Solidarität bekunden, ohne Zionist zu sein. Spielberg ist auch kein Zionist, in dem Sinn. Kushner gelingt es, in der Form dieser paramilitärischen Mission einen ganz anderen Konflikt zu erzählen. Spielberg hat auf Kushner gesetzt, in einem emphatischen Sinn: Ich übersetze dich! Das ist eine interne Auslegungsarbeit, wie ich sie in dieser Form noch nie erlebt habe.
DER STANDARD: Wie fanden Sie den fertig geschnittenen Film?
Zischler: Ich bin überrascht über die Grundgeschwindigkeit. Dieses genau austarierte Spiel von Großaufnahme, leichter Fahrt, aufreißende Totale, das dekliniert Spielberg durch, das zieht einen in die Erzählung hinein.
DER STANDARD: In Ihrer bisherigen Karriere als Schauspieler haben sie vorwiegend im Autorenkino gearbeitet, an markanter Stelle auch mit Godard, der Spielberg gerade wegen dieser Effizienz brüsk ablehnt. Haben Sie daran gedacht, als Sie "Munich" angenommen haben?
Zischler: Godards Ablehnung hat viele Gründe. Er wirft ja auch gerne große Buchstaben auf die Leinwand, seine Menetekel sollen als Flammenschrift gelesen werden. Dazu kommt noch, dass Spielberg sich nach E.T. eng mit Truffaut anfreundete, also mit einem Rechtsabweichler der Nouvelle Vague. Das spielt alles mit. Ich halte das für Mummenschanz. Ich habe keine Berührungsängste.
DER STANDARD: Wie agiert Spielberg praktisch?
Zischler: Spielberg geht immer auf das Detail, und er macht es sofort: durch das Bild definierte Korrekturen, die sehr verständlich sind. In der letzten Szene, in der ich ja betrunken bin, wollte er nur eine bestimmte Müdigkeit haben - ich sollte durch den Alkohol nicht aggressiv werden. Er sagt das auch immer so, dass man sein Wohlgefallen spürt. Nachdenklich ist er nur, wenn er in der Konstruktion der ganzen Szene noch eine Möglichkeit unausgeschöpft sieht. Wie jeder gute Regisseur denkt er ja im Schnitt, deswegen gab es auch so gut wie nie eine überflüssige Einstellung. Spielberg "covert" nicht. Beim Drehen erklärt er auch nicht lang und breit, was da eigentlich passiert.
DER STANDARD: Weil "Munich" auf Fiktion besteht, die nur "inspiriert von realen Ereignissen" ist, ist diese Leerstelle unumgänglich.
Zischler: Man kann nur erfinden. Das sind echte Fallstricke, wenn die fünf Männer eine Geschichte hätten. Wenn jemand auf Tatsachen besteht, kann ich nur sagen: "Klau mir die Mossad-Akten, klau mir die KGB-Akten, dann kriegen wir es zusammen."
DER STANDARD: Die Buchvorlage von George Jonas ist aber aus guten Gründen sehr umstritten.
Zischler: Niemand macht sich da etwas vor. Das ist eine mittelmäßige Vorlage, ein Schmöker aus der Bahnhofsbuchhandlung. Hitchcock hat schon gewusst, dass daraus oft sehr gute Filme werden.
DER STANDARD: Hielt Spielberg zu diesen "fiktionspolitischen" Fragen eine Grundsatzrede?
Zischler: Im Gegenteil, er hat da eine beinahe rabbinische Art, es gibt Fragen, es gibt Gegenfragen. Was ist Blutrache? Wann wird jemand zum Killer? In der besten Absicht, mit voller Legitimation und höchster moralischer Autorität, kannst du zum Killer werden. Man wird süchtig.
Film
"Munich": Variationen über die Realität
Schauspieler Hanns Zischler im Interview mit Bert Rebhandl über die Spielberg-Erfahrung bei den Dreharbeiten zu "Munich"