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Ibrahim Rugova symbolisierte die Unabhängigkeit des Kosovo: In Prishtina wurden Sonderausgaben anlässlich des Todes des Präsidenten gedruckt.

Foto: Reuters/Reka
Für seine Widersacher in Belgrad repräsentierte Ibrahim Rugova mit seinem unsicheren Blick, dem schlaffen Händedruck und seinen obligatorischen Seidenschals ein rückständiges Kolonialvolk, das nicht einmal einen brauchbaren Anführer hervorbrachte. Den Friedensaktivisten aus dem Westen dagegen erschien der Hobbygeologe als ein neuer Mahatma Gandhi: unbeugsam, aber friedliebend, sanft, aber hart.

Seinem Volk war er das Symbol des Widerstands - rein, unberührbar und zuletzt so gottähnlich, das niemand ihn öffentlich zu kritisieren wagte.

Friedlich und ungeschickt

Tatsächlich war Rugova unter den jugoslawischen Führern der Neunzigerjahre nicht nur der friedlichste, sondern wohl der ungeschickteste. Zum Vorsitzenden der "Demokratischen Liga des Kosovo" (LDK) wurde der Literaturkritiker 1989 nur gewählt, weil er als Vorsitzender des Schriftstellerverbandes zufällig der Herr über das einzige brauchbare Gebäude für die neue Partei war. Seine Politik bestand fortan darin, unablässig die Forderung nach Unabhängigkeit zu wiederholen.

Der "Untergrundstaat" der Albaner in der Ära Milosevic war bloß die Weigerung, den Entzug der Autonomie und die totale Herrschaft Belgrads über die Provinz zur Kenntnis zu nehmen. Rugova spielte den Präsidenten, wie ein vertriebener Königshof im Exil einfach weiter Königshof spielt. Als die junge Generation die Passivität des Frontmanns zunehmend einfach ignorierte und sich ab 1996/97 einer "Befreiungsarmee" zuwandte, weigerte sich der "Präsident", das Phänomen überhaupt zur Kenntnis zu nehmen.

Realitätsverweigerung

Noch 1998, als die UCK schon Brigaden bildete und zahlreiche Anschläge verübte, meinte Rugova, es handele sich bloß um eine Erfindung des serbischen Geheimdienstes. Bei den Verhandlungen im März 1999 auf Schloss Rambouillet, dem letzten Versuch, das Problem Kosovo ohne Krieg zu lösen, musste Rugova die Führung der Delegation einem 29-jährigen Politologie-Studenten überlassen; bei den Sitzungen schlief er regelmäßig ein. Nach Beginn des Nato-Bombardements ließ Rugova sich nach Belgrad zerren und sagte dort vor laufender Kamera die Sprüche auf, die der schlaue und brutale Widersacher ihm diktierte. Nach dem Ende des Bombardements blieb er aus Furcht vor Anschlägen noch monatelang im italienischen Exil. Mit Rugova war es vorbei: Da waren sich alle, die etwas von Politik zu verstehen glaubten, einig.

Aber Rugova blieb stark - als Figur, auf die das frustrierte Volk seine Wünsche projizierte. Der Publizist Baton Haxhiu hat ihn mit einer "Voodoo-Puppe" verglichen, die eine starke Wirkung ausübt, aber nie etwas tut. Seine Partei war alles andere als sauber oder nur "gemäßigt", wie man sie nennt. Vergeblich bemühten sich die internationalen Verwalter, zum Terror gegen die serbische Minderheit mehr als nur ein paar blasse Funktionärssätze aus ihm herauszuholen.

Erfolgreich durch Passivität

Der ungeschickteste Politiker des Balkan wurde eben durch seine Passivität am Ende der erfolgreichste: Wenn der Kosovo unabhängig wird, wird das vor allem als sein Verdienst gelten. Es war richtig, stur auf die Unabhängigkeit zu setzen und nicht Arm in Arm mit der Belgrader Opposition anzutreten, und es war richtig, dabei konsequent auf den Westen zu setzen. Die Geschichte rückte die Maßstäbe der Politik zurecht: Der täppische Rugova wurde zum Triumphator, der geniale Milosevic sitzt in Den Haag im Gefängnis.

Rugovas Vater Uke und sein Großvater Rruste, die der nationalistischen Bewegung Balli kombetar nahe gestanden hatten, wurden wenige Wochen nach seiner Geburt am 2. Dezember 1944 von kommunistischen Partisanen entführt und getötet.

"Der Demokratie verfallen"

Höhepunkt seines Lebens war das Studienjahr 1976/77 an der Sorbonne bei Roland Barthes. In dieser Zeit, sagte er später, sei er "der Demokratie verfallen". Seine politischen Kategorien und sein Sendungsbewusstsein nahm er aus dem Existenzialismus. Am Samstag ist Ibrahim Rugova 61-jährig in seinem Haus in Prishtina an Lungenkrebs gestorben. (DER STANDARD, Printausgabe 23.1.2006)