Der Film Munich ist "inspiriert von realen Ereignissen", heißt es im Vorspann. Es handelt sich aber um keinen Dokumentarfilm, sondern um einen Thesenfilm, zu dem der berühmte jüdische Dramatiker Tony Kushner das Drehbuch geschrieben hat. Es basiert vor allem auf einem Buch von George Jonas mit dem Titel Vengeance: The True Story of an Israeli Counter-Terrorist Team (in der deutschen Fassung: Die Rache ist unser), dessen Wahrheitsgehalt sehr umstritten ist.
Spielbergs trübe Quellen", betitelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung einen Text der Journalisten Yossi Melman und Steven Hartov. Sie halten den Kronzeugen von George Jonas, ein angebliches ehemaliges Mitglied des israelischen Geheimdiensts namens Yuval Aviv-Abayov, für unglaubwürdig und unzuverlässig. Jede Kritik am historischen Detail müsste zuerst aber den Bauplan des Films Munich anerkennen, der allgemeine Fragen von Legitimität und Vergeltung vor dem Hintergrund des spezifischen Konflikts in Israel verhandelt.
Dass Europa "seit Napoleon" nicht mehr so interessant für Geheimagenten war, traf in den 70er-Jahren zu. In zahlreichen europäischen Ländern gab es terroristische Gruppen, die sich bei ihren Missionen häufig mit einer internationalen Sache "solidarisierten". Die Kontakte der RAF zur PLO sind nur ein Beispiel für die vielfältigen Verbindungen zwischen Gruppen, die ganz unterschiedliche Ziele verfolgten, durch ideologische Achsenbildungen aber eine unvermutete gemeinsame Basis bekamen. In Munich gibt es eine Szene, in der diese Unübersichtlichkeit ganz konkret wird: Die fünf Israelis kommen bei einem Einsatz in Athen in eine konspirative Wohnung, die später in der Nacht auch noch von einer anderen (palästinensischen!) Gruppe beansprucht wird. Wie in einem Stand-off bei Tarantino stehen sich die Männer gegenüber, Pistolen an den Schläfen, Schweiß auf der Stirn, bis Avner die rettende Idee hat: "Wir sind von der ETA!", ruft er aus. Die baskische Separatistenorganisation steht in der Logik des Terrorismus auf der Seite der PLO, deren Vertreter Ali die Lüge wenig später durchschaut - aber da hat er schon eine Kugel im Leib.
Munich ist ein Versuch, die Logik des Terrorismus mit der Legitimität staatlichen Handelns zu vermitteln. Dabei bilden zwei Ereignisse die historische Klammer, die im Film direkt nicht vorkommen: Die Gefangennahme von Adolf Eichmann durch israelische Agenten im Jahr 1960 und der Anschlag auf das World Trade Center im Jahr 2001. Es war de facto eine Entführung, als der Mossad den untergetauchten Naziverbrecher Eichmann in Argentinien aufspürte und nach Israel brachte. Gleichwohl ist für den Spezialagenten Avner in Munich dieser Fall von staatlich sanktionierter Illegalität das Vorbild für die eigene Mission.
Eichmann wurde jedoch einem Gericht vorgeführt, während die hochrangigen Palästinenser nach 1972 vorwiegend durch Bombenanschläge umgebracht wurden. Die ganze erste Hälfte von Munich bezieht ihre Spannung vorwiegend aus dem Risiko von Kollateralschäden, das daraus erwächst - ein Liebespaar in Zypern, ein Mädchen in Paris, eine Killerin in den Niederlanden geraten in die Feuerlinie.
Spielberg und Kushner inszenieren den Rachefeldzug der fünf Vertreter Israels als symbolischen Dialog - immer wieder werden die Fernsehbilder von Flugzeugentführungen und Anschlägen durch Palästinenser zwischen die Mordanschläge von Avner, Steve, Carl, Robert und Hans geschnitten. Das Talionsgesetz einer direkten Vergeltung wird in Munich gebrochen durch die Schattenwelt der internationalen Geheimdienste, die undurchdringlich ist, aber überall hineinwirkt. Es ist diese Atmosphäre, die den idealistischen Avner seinen Auftraggebern entfremdet. Er bekommt Zweifel an einem Terrorismus im Namen des Staates Israel. Das Pathos seiner Mutter ("endlich haben wir einen Platz auf dieser Erde") wird durch das Pathos des Palästinensers Ali ("Heimat ist alles") egalisiert.