Das Osttiroler Defereggental gibt sich gegen Norden hin recht verschlossen – gute Bedingungen für einen ruhigen Skiurlaub.

Foto: Osttirol Werbung
Auf Österreichs Landkarte findet man kaum einen abgelegeneren Ort als St. Jakob im Defereggental. Die schnellste Verbindung zur Außenwelt ist der Stallersattel, der durch die Dolomiten nach Südtirol herüberführt. Doch die einspurige Bergstraße ist den ganzen Winter gesperrt - und auch im Sommer nur im ersten Viertel jeder voller Stunden befahrbar. Nach Lienz geht es in 40 Minuten, doch auch von dort ist der Rest der Welt weit weg - selbst nach Villach dauert es fast zwei Stunden.

In die Exklave, eingezwängt zwischen Dolomiten und Hohen Tauern, kommt man weder zufällig noch rasch. Am besten haben es noch jene Deutschen, die mit dem Billigflieger Hapag-Lloyd von Hamburg, Berlin oder Köln nach Klagenfurt fliegen und von dort per Expressbus nach Lienz gekarrt werden.

Aber gerade die schlechten Anfahrtswege machen den besonderen Charme dieses Landstrichs aus. Hier gibt es keine mit Tagesausflüglern überfüllten Parkplätze, keine Nepp-Preise auf den Hütten und keine Schneebars, die mit Discomusik dröhnen. Die Partystimmung beim "Schneekristall", mit dem die Saison in St. Jakob am 8. Dezember eröffnet wurde, hätte jeder mittlere Nordtiroler Skiort im Morgengrauen überbieten können. Hier schlafen die meisten Gäste in Pensionen oder Ferienwohnungen, denn im ganzen Tal gibt es gerade acht Hotels. Hier kann man selbst auf der Skipiste noch jene Momente der Ruhe erleben, die andere Wintersportorte nicht mehr kennen.

Der Berg von St. Jakob ist die Brunnalm, die auf 1400 Meter Seehöhe beginnt und auf 2500 Meter hinaufführt. Ein nettes Familiengebiet, das eine schnelle Kabinenseilbahn, einen für heutige Verhältnisse recht lahmen Dreiersessellift und seit dem Vorjahr einen Sechser-Sessellift zu bieten hat; dazu einige Schlepper, die nur in der Hochsaison im Einsatz sind. Die direkte Abfahrt ins Tal ist selbst für anspruchsvolle Skifahrer interessant, der Rest lebt vor allem von den landschaftlichen Reizen: Bei sonnigem Wetter blickt man bis hin zum Großvenediger und Großglockner.

Sonne, Kälte, Schnee

Und die Sonne scheint hier, an der Südseite des Alpenhauptkamms, öfter als anderswo. Dafür ist es hier auch deutlich kälter als etwa im benachbarten Kärnten. Der Schnee, den die spätherbstlichen Adriatiefs über den Bergen abwerfen oder die zahlreichen Schneekanonen versprühen, kommt früher und hält länger als in anderen Alpentälern. Sollte einmal der Klimawandel den Alpenraum in ein Palmenhaus verwandeln, wird der Winter im Defereggental wohl seinen letzten Zufluchtsort finden.

Wem die Abfahrten auf der Brunnalm zu wenig anspruchsvoll sind, der kann sich mit Tourenskiern auf die schweißtreibende Suche nach den vielen unberührten Hängen in der Region machen die Stadt Lienz zum Urlaubsort erküren. Von dort aus sind neben den beiden Hausbergen Zettersfeld und Hochstein mit kurzen Autofahrten auch Sillian im Hochpustertal, Matrei an der Felbertauernstraße und Kals am Großglockner zu erreichen. Hier finden auch mit Weltcuprennen und Dolomitenlauf jene Großereignisse statt, die auch in Osttirol gelegentlich für etwas "Action" sorgen. Und sollte eines Tages eine Lift- und Pistenverbindung zwischen dem Matreier Goldried und dem Kalser Blauspitz gebaut werden, dann gäbe es auch hier ein Skigebiet der Superklasse.

Bis dahin sollten selbst passionierte Skifahrer für zumindest einen Tag die Brettln stehen lassen und die Berge auf andere Weise erleben. Etwa mit einer Schneeschuhwanderung, die vom Fuße des Stallersattels in den Nationalpark Hohe Tauern führt. Hermann, der Ranger, brachte uns in eine zauberhafte Landschaft, in der wir mit Feldstecher und Fernrohr Gämse und Steinadler beobachteten. In diesem Talschluss unterhalb der Tauerngruppe, im hintersten Winkel des Landes, herrschte Stille - totale Stille. Und die Zivilisation erschien hier weiter weg als je. (Der Standard, Printausgabe 14./15.1.2006)