Laura beklagt sich nicht - im Gegenteil, alle seien so verwöhnt hier. Laura hingegen, ehemals Dolmetscherin für amerikanische Geschäftsreisende in Moskau, hat sich damit abgefunden, dass die neu gewonnene ökonomische Sicherheit ihren Preis hat. Aber die Traurigkeit wächst. Als sie im erwachsenen Sohn ihres Mannes einen Vertrauten findet, wird das fragile emotionale Sicherheitsnetz brüchig. Laura gibt nach.
Zeitlos treffend
Forty Shades of Blue von Ira Sachs ist ein Film, wie sie im zeitgenössischen US-Kino selten geworden sind (und wie zuletzt etwa Debra Granik mit Down to The Bone einer gelungen ist). Sehr gegenwärtig und doch ein wenig außerhalb der Zeit. Filme, die die Erinnerung an andere in sich tragen - man mag in diesem Fall an Robert Altmans Nashville denken, oder an Alan Rudolphs Welcome to L A. Filme, die entsprechend unspektakulär von einem eigentümlichen Driften erzählen, von Figuren, die sich in unbestimmten Stimmungslagen verlieren. Filme, die zugleich in wenigen gezielten Strichen ein konkretes Milieu umreißen und dieses dann anhand von kleinen Episoden punktieren:
Laura zum Beispiel wird von ihrem Mann nach einer Ehrung versetzt. Sie wartet im Hotelfoyer. Er vergnügt sich währenddessen mit alten Musikerfreunden und einer anderen Frau in einer Suite, was sie wiederum nur ahnen kann - aber vielleicht ist es nicht das erste Mal, dass ein gemeinsamer Abend so endet. Sie setzt sich an die Bar, steht schließlich nicht mehr ganz sicher auf den Beinen, immer noch wartend, am Eingang.
Der Fremde, der sie nach Hause bringt, verfolgt ein eindeutiges Ziel. Der heimliche Beobachter im Haus, der zusieht, wie sich Laura gegen Avancen verwehrt und schließlich den Abgang des ungebetenen Gastes durchsetzt, macht sich sein eigenes Bild. Die Kränkung, die am Anfang dieser Ereignisse steht, hat er nicht gesehen.
Die russische Schauspielerin Dina Korzun, die man hier zu Lande aus Pawel Pawlikowskis Last Resort kennen kann, verkörpert Laura. Hollywood-Veteran Rip Torn spielt ihren polternden Mann Alan, der viel zu spät erkennt, was um ihn (und in ihr) vorgeht. Darren Burrows seinen Sohn Michael, der drängenden Konfrontationen ausweicht und sich stattdessen auf ein prekäres Doppelspiel einlässt.
Dabei fungiert die Musik, die zum Teil von Größen wie Jim Dickinson oder Dan Penn stammt, zum Teil von Dickon Hinchliffe von den Tindersticks, als weitere Erzählebene. Vieles, was in den Songtexten anklingt, wird dann an anderer Stelle in der Handlung manifest ("I've been waiting here for you, I've been trying not to cry").
Die Musik gehört zu einem (Arbeits-)Alltag - auch Laura schreibt Lyrics, wie man einmal nebenbei erfährt - und sie verweist auf unterschwellige Trennungslinien: Alans musikalische Gegenwart, sein Status und sein Selbstverständnis sind in seiner Vergangenheit als Pionier der Verschmelzung von Soul, Blues und traditioneller weißer Südstaatenmusik begründet, Laura dagegen sieht man einmal allein in einem Club zu ganz anderen Klängen tanzen.