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"Die Verwirklichung eines unglaublichen Tagtraums" war für Freud die Reise in die USA. Der Karikaturist Paul Peter Porges sieht "Dr. Sigmund Freud in Amerika: kostet seinen ersten Banana Split".

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Der Ruhm eines Propheten geht seltsame Wege. Manchmal gilt er sehr wohl auch im eigenen Land, anderswo mag er ignoriert werden oder spricht sich gerade überraschend herum. Bereitschaft für Neues spielt da mit, persönlicher Einsatz und die Verkettung mehr oder weniger glücklicher Zufälle.

Erste Erfahrungen mit den verschlungenen Pfaden der Berühmtheit machte Sigmund Freud bei seiner Reise nach Amerika 1909. Zuvor hatte er seinem Kollegen und Schüler Sàndor Ferenczi von seiner Skepsis gegenüber dem puritanischen und wahrscheinlich feindselig gesonnenen Kontinent geschrieben und, bereits ganz pragmatischer Organisator seiner Bewegung, gemeint, die Reise solle Geld bringen, nicht kosten.

Nach dem begeisterten Empfang durch die Spitzen des neuenglischen medizinischen und psychologischen Establishments war der Begründer der Psychoanalyse geradezu gerührt. In Europa, erinnerte er sich 15 Jahre später, sei er verachtet, doch "dort drüben" als Gleichrangiger empfangen worden: "die Verwirklichung eines unglaublichen Tagtraumes."

Ignoriert oder . . .

In Österreich hatte sich am Status der Psychoanalytischen Vereinigung nicht viel geändert. Einem kleinen Kreis war sie bekannt, ihre Forschungs- und Heilmethode anerkannt und Gegenstand intensiver Auseinandersetzung. In viel größeren Kreisen wurde sie ignoriert bis abgelehnt. Es war zeitlebens Freuds Traum, gerade bei Neurologen Beachtung und damit ein quasi materielles Fundament für seine Theorie der Psyche zu finden - vergebens. (Erst in der letzten Zeit bewegt sich einiges in der Hirnforschung in eine Richtung, die Psychoanalytikern eine späte Genugtuung verschafft.)

Die Pro- und Kontra-Grenzen verliefen nicht entlang nationaler Trennlinien. Bekanntestes Beispiel war die frühe Achse zwischen dem Schweizer C. G. Jung und dem Wiener "Vater" in der analytischen Bedeutung des Wortes (die Fahrt über den Atlantik war ihre große gemeinsame Reise und gilt auch als Beginn des berühmten Zwistes).

In Berlin entstand nach dem Ersten Weltkrieg eine Art Dependance der Wiener Vereinigung, die bald eigenes Profil entwickelte. Als sie 1933 der allgemeinen Arisierung zum Opfer fiel, war übrigens C. G. Jung mit der Entwicklung einer "deutschen" Tiefenpsychologie hilfreich zur Stelle - eine Volte, die, apropos Vatermord, analytisch tief blicken lässt und von Jungianern ebenso beharrlich ignoriert wird wie sie seine Gegner ins Zentrum ihrer Kritik stellen.

Aufgrund personeller Verbindungen wurde Budapest zu einem weiteren tiefenpsychologischen Zentrum. Und die Etablierung einer italienischen Schule ist den an der Analyse, aber auch an Literatur und Kulturgeschichte Interessierten ein Begriff: Der Freud-Schüler Edoardo Weiss übersetzte nicht nur die Schriften, er stellte als (Seelen-)Arzt eine Verbindung zum Triestiner Geistesleben her, an dem Italo Svevo, Umberto Saba und last but not least James Joyce teilnahmen.

Eine ganz eigene Rezeption erfuhr Freud in Indien. Wieder war es eine persönliche Initiative, die den Arzt Girindrasekhar Bose veranlasste, den Doktor 1921 in der Berggasse zu kontaktieren. Daraus entwickelte sich ein Briefwechsel über fast zwei Jahrzehnte. Bose schilderte darin eine Variante der Theorie, die den mütterlichen Gottheiten in der Hindu-Kultur mehr Beachtung schenkte und die Universalität des Ödipus-Komplexes bezweifelte. Freud war, was kaum überrascht, von dieser Abweichung wenig angetan und kritisierte seinerseits die zu wenig kausalen und fortschrittsorientierten Ansichten des Arztes aus dem fernen Kalkutta. Die Kulturwissenschafterin Christiane Hartnack konstatiert einen frühen und durchaus fruchtbaren Versuch, die mitteleuropäisch bürgerlich begründete Theorie und Praxis in ein völlig anderes Gesellschaftssystem zu transferieren.

. . . durchanalysiert

Massiver und folgenreicher war die Entwicklung der Psychoanalyse in dem Land, deren Hauptstadt als die "durchanalysierteste" Metropole überhaupt gilt: Argentinien. In Buenos Aires kamen ab den Zwanzigerjahren mehrere Faktoren zusammen: Die Uni erlebte einen Boom, und ihre Psychiatrie war am längsten ungeregelt, d. h. für alle offen. Die Intellektuellen rezipierten, teils durch Vermittlung des Essayisten Ortega y Gasset, die französische analytische Schule und bald auch die übersetzten Schriften Freuds. Im Zweiten Weltkrieg stießen viele Emigranten zur Szene (wenn auch nicht so viele wie in Nordamerika).

Erste Spaltungen ab 1942 bewirkten die Gegnerschaft der Ärzte und eine umso stärkere Verbreitung von Laienanalytikern. Zu den geschichtlichen Zufällen gehört der Briefwechsel zwischen der argentinischen Chefin der Analytischen Vereinigung und der englischen Therapeutin Melanie Klein. Er führte dazu, dass Buenos Aires zum Zentrum der Kleinianer wurde - um 15 Jahre später mit fliegenden Fahnen in das Lager der Lacanianer überzuwechseln. Und sie sind nur die sichtbarsten Spitzen einer Seelenheiler-Szene, in der über das Unbewusste gestritten wird wie bei uns über Fußball.

An Dogmatik bleiben die Fraktionen einander nichts schuldig. Mit einer offenen Rezeption der Gedanken Freuds haben sie mittlerweile so wenig zu tun, dass der Ruf nach ihr wieder lauter wird.

Eine "Globalisierung" der Psychoanalyse ist weniger denn je zu befürchten oder zu erhoffen. Ihre Chance liegt am ehesten im Detail, in der Beharrlichkeit. Und in glücklichen Zufällen. (Michael Freund/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 31. 12. 2005)