"Match Point" - der neue Film von Woody Allen wurde von der Kritik in diesem Jahr wie kaum einer bejubelt. Seither gestaltet sich der Kampf der Vermarktungsstrategen mindestens ebenso spannend wie das Geschehen auf der Leinwand.
Wien - Take the money and run, weiter, zum nächsten Film, möglichst wieder über einen oder mehrere Typen, die auf mehr oder weniger luxuriösen, verqueren Freiheiten bestehen, und dabei vielleicht Schuld auf sich laden, weitertricksen... 35 Filme hat Woody Allen seit 1969 selbst inszeniert, heraus aus den Klischees einer erfolgreichen Standup-Komikerexistenz, über diverse Erfolge und auch Flops hinweg, ungeachtet privater Affären und öffentlicher Skandale.
Schreiben, tüfteln, drehen, weitermachen, möglichst jedes Jahr ein neues "Werk": Für Beobachter wie Martin Scorsese wurde so jeder von Woody Allens Filmen "in Wirklichkeit ein Bauelement zu einem einzigen großen Film". Aber was heißt dies in diesem geldaufwändigen Medium schon, in Zeiten, in denen das Kino rapider denn je sein Namensgedächtnis zu verlieren scheint? Man befrage einmal junge Kinobesucher, die bestenfalls anhand von Stars Kontinuitäten erkennen, wer denn Woody Allen ist und was sie mit ihm assoziieren. Sie werden die Frage wohl ebenso achselzuckend quittieren wie jene nach Brian De Palma, Francis Ford Coppola, Peter Bogdanovich - um nur ein paar Repräsentanten jenes New Hollywood der 70er-Jahre zu nennen, die wie Allen längst historische Figuren und somit Opfer des allgemeinen historischen Kurzzeitgedächtnisses sind.
Wie prekär die allgemeine Situation ist, kann man nun paradoxerweise an der Genese eines der besten, vielleicht auch erfolgreichsten Filme ermitteln, die Woody Allen je gemacht hat: "Match Point", heuer im Mai bei den Filmfestspielen in Cannes außer Konkurrenz präsentiert und bejubelt, war eigentlich der bis dato drastischste Flucht- und Weitermach- und Selbstrettungsversuch, den Allen je unternommen hat. Erstmals drehte er in London, weitgehend finanziert von der BBC, wohl auch, weil ihn US-Financiers wohl nur noch als achtenswerten, wenn auch kaum einträglichen "Wiederholungstäter" sahen.
Jahr für Jahr für Jahr, immer wieder einen neuen Film - das rechnet sich heutzutage bestenfalls für Steven Spielberg und Clint Eastwood. Und selbst die müssen immer wieder massenträchtige Produktionen einschieben, um nachher persönlichen Interessen und Obsessionen nachgehen zu können.
Was im Kino des Woody Allen verschärfend hinzu kommt: Es ist von den Plots her nicht wahnsinnig sensationell. Auch im Fall von "Match Point" meint man alles schon spektakulärer gehört zu haben, etwa in Patricia Highsmiths "Mr. Ripley": junger Bildungsbürger scheut keine Untat, um in der Upper Class zu reüssieren. Wie immer bei Woody Allen liegt hier alles im Wie der Inszenierung, in einer feinen Orchestrierung von Nuancen. Sprich: klarer Fall von Problem für die PR-Abteilungen. Wer weiß, welche Untergangsszenarien den Regisseur und Autor gepeinigt haben mögen, als er folgendes, für seine Verhältnisse geradezu drastisches Bild entwarf: Ein Tennisball balanciert kurzfristig auf dem Netz, und es ist unklar, auf welcher Seite er auf den Boden fallen wird. Sieg oder Niederlage, Sein oder Nichtsein, das ist die Frage.
Wie Allen, unterstützt von exzellenten Darstellern (darunter Jonathan Rhys-Meyers und Scarlett Johansson), diese Frage zunehmend in eine Variation von Dostojewskis Schuld und Sühne transponiert - das ist vielleicht noch der konventionellere Part dieser Arbeit eines Regisseurs, der sich schon immer gern an literarischen Größen abgearbeitet hat. Fast interessanter ist das Flair, das der Film entwickelt, wenn Allen seine alten Manierismen vergisst und zum Beispiel eine erotische Affäre ohne die bei ihm gewohnten Neurotikergags zu erzählen vermag.
Er entwickelt hier einen Mut, zur (manchmal natürlich hochkomischen) Verzweiflung und eine Körperlichkeit, die streckenweise vergessen lässt, wie kühn in Match Point fortwährend die Tonarten wechseln, und mit fast zweieinhalb Stunden Spieldauer ist dies ein für Allens Verhältnisse ungewöhnlich langer Film, langatmig ist er nie.
Mindestens ebenso spannend wie das Geschehen auf der Leinwand waren im Gefolge von Cannes aber die Winkelzüge an der Marketing- und Verleihfront. Zuerst signalisierten die Produzenten erfreut: Wir haben hier offenbar einen echten Überraschungshit, der wird für die zukünftigen Verleiher sehr sehr teuer werden. Die Schweißperlen, die deshalb auf den Stirnen jener Arthouse-Betreiber glänzten, die Allen zuletzt noch ins Kino gebracht hatten, nachdem die Multiplexxler gnädig abwinkten - man kann sie sich vorstellen.
Stufe zwei der Diskussion: Ein teurer Spaß muss von möglichst vielen Leuten gesehen werden. Wann bringt man ihn also mit möglichst vielen Kopien zur möglichst besten Zeit in die Kinos (die heutzutage meist mehrhundertfach gefüllt sind mit Riesenspektakeln)? Und wie bewirbt man "Match Point" überhaupt? Wirkliche Stars hat der Film ja noch nicht. Woody Allen tritt selbst nicht auf. Andererseits: Landet ein "Film von Woody Allen" heute nicht sofort in der Schublade für Nischenprodukte? Sollte man den Namen des Regisseurs in diesem Fall vielleicht nicht eher unterspielen?
"Match Point" wird jetzt auf Plakaten als kühles Yuppie-und Jugenddrama beworben, in stilisiertem Modemagazin-Schwarzweiß und voll der Hoffnung, dass die schönen Menschen auf den Aushangfotos auch ein Mainstream-Publikum anlocken werden. Zu wünschen wäre es. Egal jedoch, wie das Match ausgeht: Woody Allen, der ewige Fluchtartist, hat schon wieder zwei Filme sichergestellt.
Der erste, "Scoop", wurde bereits (wieder in England) gedreht. Für den zweiten werden Locations in Frankreich angepeilt. Gut möglich also, dass dieser Mann auch noch den Niedergang des Kinos, wie wir es bisher kannten, überlebt. Unerkannt vielleicht und auf den Plakaten kaum genannt, jetzt sage uns noch einmal jemand: Wer denn ist Woody Allen? (DER STANDARD, Printausgabe, 27.12.2005)