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Foto: REUTERS/Daniele La Monaca

Es waren die Achtziger, als endlich auch in der Männermode der Befreiungsschlag kam. Die nahe am Körper sitzenden Anzüge, die Taillierungen und die engen Westen: Mit einem Mal waren sie verschwunden. Die Armani-Anzüge flatterten und hingen wie Säcke von den Leibern. Was jene freute, die ihre Figur schon immer gern versteckt hatten und keine Zeit für den allgemeinen Bodybuildingwahn hatten. Für sie hatten sich die Designer etwas Besonderes einfallen lassen: Die Invasion der Schulterpolster rückte die hängenden Schultern wieder gerade. Und aus den schlurfenden Männern wurden doch noch richtige Soldaten - aber solche, die es richtig bequem hatten.

Während in den Achtzigern die Wall-Street-Anwälte in ihren messerscharf geschnittenen Kanzleien das Leben in der Retorte probten, gönnten sie sich also zumindest in ihrer Arbeitskleidung ein klein bisschen Erholung. Entspannung war angesagt, so wie es die Damenmode schon seit Anfang des Jahrhunderts vorgemacht hatte.

An- und Entspannung

Es sind diese beiden Pole, zwischen denen die Mode des gesamten vergangenen Jahrhunderts pendelte. Statuarik stand auf der einen, die maximale Beweglichkeit auf der anderen Seite. Das eine stand für Konservatismus jeglicher Couleur, das andere für Demokratie. Auch wenn diese Zuschreibungen im Laufe der Zeit immer weicher wurden und schließlich ganz verschwanden, waren zu Anfang des Jahrhunderts die Oppositionen noch klar: Mit dem Reformkleid befreite sich der Körper von Standeszeichen und Statussymbolen, von geschnürten Taillen und ausladenden Krinolinen.

T-Shirts und Sneakers

"Die Demokratie und der Sport sind die Schneider des 20. Jahrhunderts", hat die deutsche Literaturwissenschafterin Hannelore Schlaffer einmal geschrieben, und es ist bezeichnend, dass davon der Anfang des Jahrhunderts und sein Ende am meisten zu berichten wissen. War das Reformkleid über dem nackten Körper noch ein emanzipativer Befreiungsschlag, so ist der Jogginganzug, sind T-Shirts und Sneakers die Durchsetzung der Demokratie in ihrer breitestmöglichen Front - mit allen Vor- und Nachteilen, die damit zusammenhängen.

Steigende Trainingsanzugsdichte

Diese fade Uniform des Freizeitmenschen, diese Kluft für Couchpotatoes ist das maximale Entspannungsangebot der Kleidungsindustrie an die gestressten Bürger. Die von ihnen geforderte Flexibilität gilt auch für ihr Outfit. Bequemlichkeit und Beweglichkeit sind die Fetische, denen kaum ein Designer etwas entgegensetzen mag. Die Trainingsanzugsdichte in den Supermärkten der Außenbezirke ist ein trauriges Beispiel dafür, die verschwindende Bedeutung der Hautecouture ein anderes. Modische Entspannung, als visionäres und demokratisches Programm geplant, entpuppt sich so immer mehr als Akt der Regression, als Verluderung der Mode, als eine Art Massenverdummung, die in Turnschuhen steckt.

Gegen den Komfortfaschismus

Verständlich, dass vor diesem Hintergrund all jene Modemacher gefeiert werden, die den Leibern wieder Konturen geben und sich öffentlich gegen den Komfortfaschismus stellen. Hedi Slimane, der gefeierte Dior-Homme-Designer, ist ein solches Beispiel. Er ist die Antithese zu einem Giorgio Armani der Achtziger, in seine Anzüge schlüpft man nicht, in sie zwängt man sich. Dafür sitzen sie dann aber auch perfekt, geben dem Körper Konturen, die sich unter den Schlabbergewändern nicht einmal erahnen lassen.

Mit Konservatismus haben diese Gegenbewegungen genauso wenig zu tun wie Jean Paul Gaultiers seinerzeitige Wiederentdeckung des Korsetts. Vielmehr ist es ein Aufschrei der Couturiers gegen ihre langsame Selbstabschaffung. Während sich die Mode immer mehr entspannt, synthetische Stoffe, also Stoffe ohne eigenen Willen, bereits vierzig Prozent des Weltmarktes einnehmen und Sportkleidung noch immer Konjunktur hat, spannen sich zumindest die Nerven mancher Designer wieder an. Auch das ist ein Teil der Wellenbewegungen der Mode - einer, der hoffen lässt. (Stephan Hilpold, DER STANDARD, rondo, 23/12/2005)