Lübeck/Berlin - Der Schriftsteller Günter Grass teilt die Kritik seines kürzlich als Präsident der Berliner Akademie der Künste zurückgetretenen Kollegen Adolf Muschg an der Künstlervereinigung. Die Akademie sei dringend reformbedürftig, die Position des Präsidenten müsse gestärkt werden, sagte Grass, der in den 1980er Jahren selbst an der Spitze der Akademie stand: "Ich bin ganz auf Muschgs Seite. Er hatte die gleichen Probleme, mit denen schon ich zu kämpfen hatte"r. Der Schweizer Schriftsteller Muschg (71) hatte vor knapp einer Woche aus Ärger über die nach seiner Ansicht verkrusteten Strukturen in der Akademie das Handtuch geworfen.

Begrüßgustav und Kurfürstenherrlichkeit

"Wenn man einen profilierten Künstler, in diesem Fall einen Schriftsteller, zum Präsidenten wählt, kann der sich nicht mit der ihm zugedachten Rolle eines Begrüßgustav begnügen", kritisierte Grass. Der Präsident habe in der gegenwärtigen Situation keinen ausreichenden Spielraum, Programme zu entwickeln, die das Zusammenwirken der einzelnen Abteilungen ermöglichen. Deren Leiter behinderten mit ihrer "Kurfürstenherrlichkeit" die Arbeit der Organisation. "So bleibt aus meiner Sicht und sicherlich auch aus Muschgs Erfahrung das eigentliche Potenzial dieser Akademie ungenutzt", sagte Grass. "Wenn das so weiterläuft, verliert die Akademie ihre Berechtigung."

Muschg ist nach Meinung Grass' auch daran gescheitert, dass er die Akademie ermuntert hat, ihren öffentlichen Auftrag wieder stärker wahrzunehmen. "Wir haben seit Beginn der Kanzlerschaft Gerhard Schröders erstmals einen für die Kultur zuständigen Minister. Das ist eine ganz wichtige Betonung der Kultur in der größer gewordenen und seit 1990 souveränen Bundesrepublik. Doch die Stimme der Akademie, was die Gestaltung und die Aufgaben dieses Ministeriums betrifft, ist nicht zu hören gewesen", bemängelt Grass.

Bau für Sponsorenpartys

Den umstrittenen Akademie-Neubau am Brandenburger Tor nennt Grass "missglückt". "Der mag sich für Sponsorenpartys eignen, aber nicht für das, was eine Arbeitsakademie zu leisten hat", sagte er. Der Bau biete zu wenig Raum, die große Glasfassade lenke die Aufmerksamkeit der Publikums auf das Brandenburger Tor, und überdies könnten zurzeit wegen klimatischer Probleme keine Ausstellungen stattfinden. Voraussichtlich Anfang Februar soll ein Nachfolger Muschgs gewählt werden. (APA/dpa)