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Koautor Werner Steinacher (re.) unterschrieb vor einer Woche den WEB-Vergleich mit Sparkassenchef Gernot Mittendorfer.

Foto: APA/FRANZ NEUMAYR
Das Plädoyer von Bettina Knötzl gegen Gruppenklagen (DER STANDARD, 13. 12. 2005) entspricht den rechtspolitischen Interessen von Banken, Versicherungen, Anlageberatern und anderen potenziell von solchen Klagen Betroffenen. Doch gerade das WEB-Verfahren - der größte Zivilprozess der Zweiten Republik - zeigt, dass das Gegenteil wahr ist.

Die längste Zeit drohte im Verfahren aufgrund des hohen Streitwertes eine wahre Kostenexplosion. Der Richtersenat prognostizierte 160 Verhandlungstage und Gesamtkosten von bis zu 70 Mio. Euro bei einer Verhandlungsdauer über einige Jahre. Die kleinen "Davids" als Kläger boten der beklagten Sparkasse mehrfach an, einige Musterprozesse zu führen und den Rest der Verfahren kostengünstig ruhen zu lassen.

Die Sparkasse lehnte ab. Eine Kosten dämpfende Streitwertvereinbarung kam erst zustande, als die Kläger bereit waren, auf Teile ihrer Forderungen (nämlich die Zinsen aus dem erlittenen Schaden über drei Jahre zurück) endgültig zu verzichten.

Die Richter des WEB-Senates sahen im Rahmen der bestehenden Zivilprozessordnung keine Möglichkeit, ohne Zustimmung der beklagten Sparkasse die Verfahren zu Musterprozessen zu bündeln und damit prozessökonomisch zu führen.

Ein schöner Erfolg

Wenn jetzt 3246 Kläger 16 Jahre nach dem WEB-Skandal immerhin 43 Prozent des verlorenen Kapitals ersetzt bekommen, dann ist das unter den bestehenden Verhältnissen ein schöner Erfolg. Doch darf es zufrieden stellen, dass man sich bei einem Großschaden mit hohem Streitwert und komplexem Sachverhalt eine ökonomisch überschaubare gerichtliche Klärung nur leisten kann, wenn das auch der Beklagte will? Ist es zufrieden stellend, wenn die Mehrzahl der rund 20.000 Geschädigten aus dem WEB-Skandal sich einer Klage gleich gar nicht anschließt, weil man sich Rechtsschutz nicht erwartet?

Es gibt inzwischen zahlreiche Beispiele, in denen mit Zustimmung des Beklagten strittige Fragen in Musterprozessen geklärt werden konnten. Doch das WEB-Verfahren zeigt - ebenso wie auch der Zinsenstreit der Konsumentenschützer mit gewissen Banken - eine andere Tendenz: Wenn der Beklagte seine wirtschaftliche Macht ausnützt, dann kann er eine prozessökonomische gerichtliche Klärung verhindern.

Wenn also die Lobby der "Goliaths" mit dem besorgten Hinweis auf drohende "amerikanische Verhältnisse" eine Änderung dieser unbefriedigenden Situation ausgerechnet mit dem WEB-Vergleich zu rechtfertigen versucht, dann will man nur hintanhalten, dass sich die Opfer der nächsten Anlegerpleiten und Massenschäden wirksam von den Tätern bzw. den hinter ihnen stehenden Unternehmen Regress holen können.

Was nützen die besten Rechte, wenn sie nur auf dem Papier bestehen? In der rechtspolitischen Diskussion in der EU steht der effektive Zugang zum Recht ganz oben auf der Agenda. Daher ist es richtig und wichtig, wenn das Justizministerium an einem dringend nötigen Entwurf für eine Gruppenklage arbeitet.

Es muss auch gegen den Willen eines Beklagten möglich sein, gemeinsame Rechts- und/oder Tatfragen prozessökonomisch zu bündeln und zu klären. Noch kann Österreich beispielgebend vorangehen. Wenn wir diese Chance versäumen, wird in wenigen Jahren von Brüssel vorgegeben werden, wie Gruppenklagen zu ermöglichen sind. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20.12.2005)