Guatemala-Stadt - Archäologen haben in Guatemala die bisher ältesten und am besten erhaltenen Wandmalereien der Maya ausgegraben. Das neun Meter lange und einen Meter hohe Fresko werfe ein ganz neues Licht auf die Entstehung der Maya-Kultur, sagte der wissenschaftliche Leiter des Projektes, William Saturno von der Universität New Hampshire. Denn die Malereien seien noch vor christlicher Zeitrechnung entstanden.

Die Wissenschafter waren nach langen Ausgrabungsarbeiten auf dem Grabungsfeld bei San Bartolo bereits im Jahr 2001 zufällig auf den Raum einer Pyramide gestoßen, in dem sich das Gemälde befindet - dieses konnte jedoch erst in diesem Jahr freigelegt werden und wurde nach Analyse nun der Öffentlichkeit vorgestellt.

Die Entstehungszeit des Gemäldes liege laut Saturno mindestens ein Jahrhundert vor der christlichen Zeitrechnung. Die prächtigen polychromen Malereien an der Westwand der Kammer seien eine Darstellung der Ur-Mystik der Maya, bedeuteten die Erschaffung der Welt. Das Gemälde zeigt vier Gottheiten, die alle Variationen derselben Figur sind: des Sohnes des Mais-Gottes. Eine Gottheit steht im Wasser und hält einen Fisch, eine andere steht an Land und opfert ein Tier. Die dritte Gottheit fliegt durch die Luft, die vierte steht in einem Blumenfeld. Die Götter erschaffen laut Saturno Wasser, Land, Himmel und Paradies. Die Qualität der Bilder belege, dass die Früh-Maya weit vor der klassischen Periode ihrer Kultur bereits über Kunstfertigkeit und künstlerische Eleganz verfügten.

Schon 800 Jahre früher

Der Fund werfe laut Saturno alles über den Haufen, was die Fachwelt bisher von den Anfängen der präkolumbianischen Kultur zu wissen glaubte. Eine Sensation für die Archäologen, die bisher davon ausgegangen waren, dass die Mayas erst ab dem siebten Jahrhundert nach Christus derartige Werke geschaffen haben. "Sie hatten davor schon Könige, Kunst und Schrift", sagte Saturno. All diese Dinge habe man bisher der klassischen Maya-Periode zugeordnet, die von 250 bis 1000 nach Christi reicht. "Verglichen mit der westlichen Zivilisation käme dies der Entdeckung von Gemälden Michelangelos und Leonardo da Vincis durch künftige Archäologen gleich, wenn zuvor nur moderne Kunst bekannt gewesen wäre", sagte der Forscher, der auch das Museum für Archäologie und Ethnologie in Harvard berät.

Die in den Gemälden benutzen Schriftzeichen seien allerdings schwer zu lesen, erklärte David Stuart, beigezogener Experte für mittelamerikanische Urschriften an der Uni von Texas. Das Schriftsystem der Maya umfasse 800 Zeichen und sei eines der vollkommensten der Kulturen in der Region. Außerdem fanden die Archäologen rund 1,6 Kilometer von der Pyramide entfernt im Dschungel eine Grabkammer mit Tonkrügen, einem Jade-Amulett und Knochen - die möglicherweise von einem der ersten Maya-Könige stammen. (fei/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15. 12. 2005)