Hinsichtlich des – nach dem Akteninhalt 1938 vor nationalsozialistischer Verfolgung nach Palästina geflüchteten – Vaters der Beschwerdeführer, kann einerseits von einem freiwilligen Verlassen Österreichs bzw. damit korrespondierend von einem freiwillig hergestellten Naheverhältnis zu einem fremden Staat (Israel) nicht die Rede sein." So begründet der Verwaltungsgerichtshof, dass durch den Erwerb der "fremden" israelischen Staatsbürgerschaft die österreichische Staatsbürgerschaft nicht verloren gegangen ist. Die beiden Kinder eines österreichischen Staatsbürgers haben damit durchgesetzt, dass ihr Vater bei deren Geburt nach wie vor die österreichische Staatsbürgerschaft besaß, weshalb auch sie diese erworben haben.

Diese Rechtsprechung gibt den Nachkommen der Opfer des Nationalsozialismus Hoffnung auf einen österreichischen Reisepass. Der Verwaltungsgerichtshof geht damit einen Schritt weiter als der Gesetzgeber, der zwar den NS- Opfern eine erleichterte Wiedereinbürgerung gewährt, deren Nachkommen jedoch davon ausschließt. Vorschläge, diese Diskriminierung der NS- Opfer zu beseitigen, haben in den Ausschussberatungen zur aktuellen Novelle zum Staatsbürgerschaftsgesetz keine Mehrheit gefunden.

Erwerb durch Anzeige?

"Mit der Entrechtung durch die ,Nürnberger Gesetze‘ ging eine Depersonalisierung der österreichischen JüdInnen einher bis zum kollektiven Entzug der Staatsbürgerschaft aller im Ausland befindlichen JüdInnen. Erst 1993 konnte eine einigermaßen zufrieden stellende Regelung des Staatsbürgerschaftswesens hergestellt werden." (www.wien.at) Die angeblich "einigermaßen zufrieden stellende Regelung" ist der "Erwerb der Staatsbürgerschaft durch Anzeige". Angezeigt wird, dass Österreich aus Gründen der Verfolgung vor dem 9. 5. 1945 verlassen wurde. Die von mir in Pensionsverfahren vertretenen Opfer des NS-Regimes nutzen nur selten die Wiedererlangung der Staatsbürgerschaft durch Anzeige.

Die Historikerkommission, bestätigt, dass nur etwa zehn Prozent der Berechtigten diese Möglichkeit für sich in Anspruch genommen haben. Sie erklärt den Misserfolg dieser Form von Wiedergutmachung damit, dass für die große Mehrheit der jüdischen Vertriebenen diese Maßnahme zu spät kam, und spricht von "ungelösten Widersprüchen zwischen positivem Recht und subjektivem Rechtsempfinden und wechselseitigen Missverständnissen". Aus meiner Erfahrung kann ich diese "Missverständnisse" klar benennen: Meine Klienten haben die Staatsbürgerschaft durch Vertreibung und Ausbürgerung verloren.

Ein Blick in das Österreichische Bundesgesetzblatt zeigt eine ganz andere Wirklichkeit. Sämtliche durch das? nationalsozialistische Regime getätigten Ausbürgerungen wur^den aufgehoben. Die Vertriebenen mussten auf ihrer Flucht eine neue Staatsbürgerschaft annehmen. Diese Annahme wurde von den österreichischen Behörden so ausgelegt, dass angeblich ein "Verlusttatbestand" gesetzt wurde. Damit wurden die Opfer ein zweites Mal ausgebürgert – und zwar diesmal nach österreichischem Recht.

Die Folgen dieser neuerlichen Ausbürgerung werden durch den Erwerb der Staatsbürgerschaft durch Anzeige nicht gemildert. Diese "Wiedergutmachung" ist diskriminierend, da sie nicht für die Nachkommen gilt. Meine Klienten stützen daher die Hoffnung, ihre Staatsbürgerschaft auch auf ihre Nachkommen weitergeben zu können, auf den eingangs zitierten Verwaltungsgerichtshof. Sie versuchen nachzuweisen, dass bei Erwerb einer fremden Staatsbürgerschaft nach der Flucht "von einem freiwillig hergestellten Naheverhältnis zu einem fremden Staat" nicht die Rede sein kann.

Keine kalten Füße

Viktor Matejka, Wiener Stadtrat für Kultur und Volksaufklärung, bemühte sich um die Rückholung von Vertriebenen: "Um es auf gut Österreichisch zu sagen: Da holte ich mir die kältesten Füße meines Lebens." Solche kalten Füße will sich die Bundesregierung im Gedankenjahr nicht holen. Mit der Novelle zum Staatsbürgerschaftsrecht legt sie fest, dass beim Erwerb der Staatsbürgerschaft durch Anzeige zusätzlich zu prüfen ist, ob gegen die Opfer des? Nationalsozialismus ein fremdenpolizeiliches Rückkehrverbot besteht oder sonst bestimmte Tatsachen, die ein Aufenthaltsverbot gerechtfertigt erscheinen lassen.

Der Bericht der Historikerkommission, dass aus den Protokollen des Ministerrates kein politischer Wille erkennbar war, die Vertriebenen zurückzuholen, bekommt im Gedankenjahr mit dem fremdenpolizeilichen Stempel der Novelle zur Staatsbürgerschaft seinen Bestätigungsvermerk. Vorschläge der Historikerkommission, auch die Staatsbürgerschaft zum Gegenstand der Restitution zu machen, sind für die Bundesregierung im Jahr 2005 kein Thema.

Der Wiedererwerb der Staatsbürgerschaft für Vertriebene wird erschwert, statt deren Nachkommen unbürokratisch einen Reisepass zu gewähren. Wenn sich der Bundeskanzler davor fürchtet, dass österreichische Staatsbürger das Recht auf Familiennachzug haben, haben auch die Nachkommen der Opfer des Nationalsozialismus in Österreich keinen Platz. (DER STANDARD, Printausgabe, 13.12.2005)