Robert Schindel
Mein liebster Feind.
Essays, Reden, Miniaturen.
9,30/148 Seiten.
Suhrkamp, Frankfurt/Main 2005.

Robert Schindel
Wundwurzel.
Gedichte.
15,30/106 Seiten.
Suhrkamp, Frankfurt/Main 2005.

Robert Schindel
Ein Feuerchen im Hintennach
Gedichte.
6,20/94 Seiten
Suhrkamp, Frankfurt 2005.

Buchcover: Suhrkamp
Wieder ist es ein Feuerchen im Hintennach. Robert Schindels Gesamtwerk könnte mit gleichnamigem Gedicht und Titel des 1992 erschienenen Lyrikbandes überschrieben werden, und so auch sein neuer Band Wundwurzel. Auf den trifft dasselbe zu. Die Wundwurzel lodert im Zwischendrin, ist Gegenwart als die eines Dichters jüdischer Abstammung, der, knapp in die Nachkriegszeit hineingeboren, Vater und Großvater im KZ verlor und sich plagt mit der bis heute nicht möglichen kulturellen "Symbiose" zwischen Juden und Nichtjuden.

Schindels Werk als "Aufarbeitung" zu bezeichnen reicht jedoch nicht. Der Begriff drückt nicht auf Verwund(er)ung, die das Nichtvergessen parat hält. Schindel ist aber kein Verzweifler. Mit Esprit schildert er Unbegreifliches so scharf und gleichzeitig deftig wienerisch wie ehedem. Er wirkt dabei nie unauthentisch. Sein Kunstgriff verdankt sich dem Einlassen auf das Jetzt als Erfahrungsgegenwart, der nicht unironische Duktus trägt das Schwere leichter. Doppeldeutige Schlüsselbegriffe wie Wurzel, Starre, Wachstum, Weiße drücken die Wippe laufend gen Boden. Der aber ist ja verseucht.

Was ist das explosive Hintennach? Der Wörterdrechsler selbst und Träume, die sich mit dem Leben vermischen. Träume sind Schattengewächse, in denen die Toten verharren. In Wintergedichten ragen Eisstücke als Gedankenstarre heraus, als Vergessenshüter. Was macht das Eis schneller schmelzen denn ein Feuerchen? Vorsicht: Der Dichter weiß auch, dass er zündelt. Keiner sei ganz unschuldig. In seinen vor einem Jahr erschienenen Essays Mein liebster Feind ist vom Dichter-Ich die Rede, das sich schuldig wähnt, "aus dem Gefühl ein Wort zu machen". Und Juden, denen es gelungen war, sich von der Tötungsliste zu argumentieren, spricht er schuldig, denn Selbstrettung bedeutete, den anderen in den Tod zu schicken. Das ist vielleicht das einzig Heikle bei Schindel, Gefahr der "Verjudung" des Juden-Stigmas vielleicht.

Schindel schreibt, die Verfolgung statt der Religion sei es, die heute Juden als Volk zusammenhalte. Scharfsinnig hat Doron Rabinovici in Credo und Credit dargelegt, dass der Same des Antisemitismus im Antijudaismus liege. Jude als Name, als unterschwelliges Stigma des Gottesverräters. Das Christentum beerbte die Juden nun aber an Gott und hat sie zum Ursprung. Was für eine tiefe Wurzel! Die Nazis waren dann Selbstauslöscher, so Rabinovici. Dramatisch sind folglich die von Schindel benannten Zwänge zur Selbstauslöschung internierter Juden. Wie fatal hier, wo sich die Übertragung aufdrängt, nach Schuld fragen zu müssen.

Diese Ambivalenz der Lebenserhaltung kennzeichnet die Gedichte: Hintennach ist explosiv auch das Leben: "Schütte entlang der Wiener Donau meinen Samen", heißt es, doch durch den Rauch fahren Wandersassen "mit Panzern ins Geschlecht ihrer Wörterfrauen". Die Zeitgenossenschaft nagt, das Vergessen zu mästen. Andere Wurzeln wachsen als geschlechtliche Liebe zwischen "Juden" und "Nicht-Juden". Wenn auch ungesund noch: "stopf / Ich den Zukunftsmuskel in den Knauf jener Krücke". Liebe wird "Knie-Fick" oder "neues Geschlecht". Letzteres verweist auf die Zukunft. Neben dem Vor und Hinten gibt es das "Vor und Fort". Noch marschieren die Toten nach vorn, wie in selbigem Gedicht. Der Dichter weiß zu gut, dass sich für seine Generation nichts mehr ändern wird, und kann Zukunft nur als Utopie fassen.

Mit Schindel haben wir einen ungleichen Zwilling Celans, einen mit lachendem Auge. Auf Paul Celan bezieht er sich immer wieder, auch motivisch. Seit Celans Engführung, der Text vom auseinander geschriebenen Gras, ward in der Dichtung nicht mehr so in der Erde gewühlt wie bei Schindel. Und Celan wurde noch nie so zur Wurzel. (DER STANDARD, ALBUM, Printausgabe vom 10./11.12.2005)