Wien – Akira Kurosawa ist vermutlich bis heute für viele der erste Name, der mit dem japanischen Kino assoziiert wird. Die Gründe hiefür sind vielfältig, und sie erzählen auch von den Bedingungen der westlichen Rezeption. 1951 lief sein Film Rashomon auf den Filmfestspielen von Venedig, ein exotischer Satellit im Wettbewerb, der überraschend den Goldenen Löwen gewann. Das war der Anfang. Weitere Regisseure wie Kenji Mizoguchi oder Yasujiro Ozu blieben zu entdecken.
Rashomon gehört den "jidaigeki" an, der japanischen Form des Historienfilms, der sich bevorzugt mit den feudalen Werten der Vergangenheit befasst. Als solcher ist er allerdings ein sehr untypisches Beispiel: Die berühmt gewordene Erzählstruktur des Films, die das Zusammentreffen eines reisenden Ehepaares mit einem Räuber aus vier verschiedenen Perspektiven zeigt, ist das offensichtlichste Zeichen seiner Modernität. Die Wahrheit jedwedes Erzählens wird hier in Zweifel gezogen, aber auch der tradierte Glaube an Loyalität und Ehre ausgehöhlt.
Auf Kurosawa, der mit Sugata Sanshiro (Judo-Saga) bereits 1943 sein Regiedebüt gab, kamen in den 50er-Jahren seine größten Erfolge zu: Sie festigten seinen Ruf als Humanisten, mit moralisch ambivalenten Charakteren – egal in welchem Genre er sich bewegte. Auch die Auffassung, er sei der "westlichste" Regisseur seiner Generation, rührte aus dieser Zeit: Das Samurai-Epos Shichinin no samurai (Die sieben Samurai, 1954) erfuhr von John Sturges ein Remake als Western, Clint Eastwood bediente sich an Yoyimbo (Der Leibwächter, 1961) für A Fistful of Dollars, George Lucas an Kakushi toride no san-akunin (Die verborgene Festung, 1958) für Star Wars.
Lebende Kulissen
Der kulturelle Transfer verlief auch umgekehrt. Kurosawa griff selbst gerne auf westliche Vorlagen zurück, wovon seine Macbeth-Adaption, Kumonosu-jo (Das Schloss im Spinnwebwald, 1957), gewiss eine der eindringlichsten ist: Seinen Lieblingsdarsteller Toshiro Mifune, in allen seiner Filme dieser Zeit eine so wandelbare wie physische Größe, schickt er darin durch Nebel und Donner in eine todbringende Erkenntnis. Kulissen werden wortwörtlich lebendig, umzingeln ein Subjekt, das sich über seine Maßlosigkeit immer mehr verliert.
Sonderbar an der interkulturellen Rezeptionsgeschichte bleibt jedoch, dass neben dem Kurosawa des Historienfilms der unermüdliche Erforscher der Gegenwart stets im Hintertreffen blieb: Warui yatsu hodo yoku nemuru (Die Bösen schlafen gut, 1960), lose auf Hamlet basierend, ist etwa das sehr frühe Beispiel eines Verschwörungsthrillers, der im Umfeld eines Großunternehmens spielt. Der zentrale Protagonist Koichi Nishi (erneut von Mifune verkörpert) sucht Rache an jenen Vorgesetzten, die seinen Vater in den Freitod getrieben haben, und verfängt sich dabei zunehmend in einem moralischen Dilemma.
Kurosawa inszeniert eine Meisterschaft der Skrupellosigkeit. Erstmals in Breitwand drehend, setzt er, gegenläufig zur Dynamik seiner anderen Filme, Bedrohung als beunruhigende Zeichen inmitten starrer Tableaus um. Nishi arbeitet mit Symbolen, die den Schuldigen Angst einflößen und sie aus der Reserve locken sollen – bis daraus ein Katz-und-Maus-Spiel wird.
Die Thrillerformel wird in Warui yatsu hodo... wie auch in Tengoku to jigoku (Zwischen Himmel und Hölle, 1963) dazu genützt, Aussagen über soziale Gefälle zu treffen, auf formal höchstem Niveau: Letzterer Film beginnt als Entführungsdrama in der Villa eines reichen Geschäftsmanns, die in den ersten 40 Minuten nicht verlassen wird. Dann sorgt eine furios inszenierte Geldübergabe in einem Zug für eine Zäsur. Der Film steigt in die erhitzten Straßen Yokohamas hinab, wo dann weniger die Jagd auf den Täter als die Koordination derselben in den Mittelpunkt rückt.