Das Plakat für den bayrischen Fieschereiverband von der Agentur Heye & Partner GmbH und den Kreativen Oliver Diehr, Jan Okusluk wurde unter die 100 besten Plakate des Jahres 2004 im deutschsprachigen Raum gewählt.

www.100-beste-plakate.de/2004/bildschau_04.htm
Zehn Jahre ist es her, da hatte Neil Postman einen bösen Traum: "Stellen Sie sich vor", schrieb der amerikanische Kulturwissenschafter in seinem Buch "Das Technopol", "es kommt eines Tages einem Werbemann, der einen Fernsehspot für einen Chardonnay entwickeln soll, folgende Idee: Jesus steht allein in einer Wüstenoase. (...) Er blickt voller Bewunderung auf eine Flasche Wein in seiner Hand. Dann wendet er sich der Kamera zu und sagt: 'Als ich zu Kanaa Wasser in Wein verwandelte, da schwebte mir das hier vor. Probieren Sie. Sie werden mir glauben.'"

Postmans Vision von "Jesus Christ Werbestar" ist längst Wirklichkeit geworden. In Amerika werden Produkte von Bratwürsten bis zu Autoreifen mit dem Verweis auf eine höhere Autorität beworben. In Europa ist man ein wenig vorsichtiger: Aber auch hier macht etwa der bayerische Fischereiverband mit einer Jesus-Figur auf sich aufmerksam, die den Anglern mit segnender Geste Petri Heil wünscht. Die Münchner Eyewear-Firma "Freudenhaus" verteilt Postkarten mit Comic-Versionen von Jesus und Maria, die Sonnenbrillen tragen. "Liebe deine Nächste (Brille)", steht darauf. Ganz normal? Offenbar: Die Kampagne der bayerischen Fischer wurde 2005 unter die hundert besten Plakate im deutschsprachigen Raum gewählt. "Jesus bezeichnete sich ja selbst als Menschenfischer", meint Oliver Okusluk von der verantwortlichen Agentur Heye & Partner, "das passt doch. Und wenn Werbung gut arbeitet, dann erzeugt sie auch ohne Jesus ein beinahe heiliges Gefühl."

Ist das Blasphemie?

Okusluk hatte zusammen mit seinem Artdirector Oliver Diehr lange Zeit Bedenken. "Dürfen wir mit dem Jesus-Image spielen? Oder ist das Blasphemie?" Bislang haben die Münchner aber keine Protestbriefe empörter Katholiken bekommen. "Die Pfarrer schmunzeln eher." Nicht so viel Glück hatte im März 2005 das französische Modehaus "Girbaud", das von der katholischen Kirche angezeigt wurde, weil es eine Variation von da Vincis "Letztem Abendmahl" mit einem weiblichen Jesus und einem nackten Mann produzierte. Der Anwalt Bernard Cahen sagte danach erstaunlich ehrlich: "Für uns ist das keine Niederlage. Man redet über uns. Und darum ging es ja."

Der Tabubruch ist seit Benettons legendären Schock-Kampagnen mit Bildern von blutigen Uniformen und sterbenden Aids-Patienten ein etabliertes Stilmittel im Werkzeugkasten der Werbeindustrie. Die skandalöse Wirkung entstand in den Anzeigen von Benetton-Artdirector Oliviero Toscani nicht durch die Bildinformationen an sich, sondern indem Bilder vom Sterben außerhalb des gewohnten Kontextes gezeigt wurden, nämlich der Nachrichtensendungen, wo der Tod in dieser Gesellschaft hingehört. Auch vor dem Angriff auf die Kirche schreckte Toscani nicht zurück und bewarb bereits 1973 die Jeansmarke "Jesus" mit dem Slogan "Wer mich liebt, der folgt mir". Der Regisseur Pier Paolo Pasolini sprang ihm damals bei, als er im katholischen Italien schwer unter Beschuss kam. Die Differenz zwischen Supermarkt und Kirche bestünde ohnedies nicht mehr, so Pasolini: "Eine neue Bourgeoisie und die Arbeiterklasse öffnen sich einer profaneren Spiritualität, deren Riten nicht mehr in der Kirche, sondern im Supermarkt stattfinden." Ein wenig plakativer formulierte es Frédéric Beigbeder 30 Jahre später in seinem Buch "39,30": "Calvin Klein hat Jesus Christus ersetzt. Und statt 'Liebe deinen Nächsten' heißt es heute: 'Just do it!'"

Asketen und Derwische

Beim Gebet ging es schon immer primär - da können die Asketen und Derwische sagen, was sie wollen - um Wunschbefriedigung bzw. um Vermeidung von Frustrationen. Glauben ist Konsum. Umgekehrt heißt Konsum auch, Glauben zu schenken.

Die Werbekampagnen mit Jesus aber sind wohl nur für vergeistigte Klosterbewohner ein Schock, die mit den gegenwärtigen Konsumwelten nicht vertraut sind. Jesus hat die Kirche lange hinter sich gelassen und wandelt durch Fußgängerzone und Einkaufszentren. Man findet sein lächelndes Antlitz auf T-Shirts, Modeschmuck und Bildschirmschonern. Die Frage ist, was dabei mit seinem Bild passiert. Daniel Boorstin schrieb in "Das Image oder Was wurde aus dem amerikanischen Traum": "Durch die visuelle Industrie wurden religiöse und nationale Symbole zu Gemeinplätzen, die mit Gleichgültigkeit betrachtet wurden. (. . .) Im Zuge der Wiederholung versickert (ihr) Gehalt." Folgt man Boorstins These, dann hätte das Jesus-Symbol zwar einmal für Mitgefühl und Nächstenliebe eingestanden, sei im Bilderwirbel aber nunmehr völlig entleert worden. Übrig bleibt dann nur eine hübsche Hülle, die man nicht mehr moralisch, sondern nur noch nach ästhetischen Kriterien bewerten kann.

Und bei diesem Test schneidet Jesus gut ab. Kein Wunder, die Kampagnenmanager der katholischen Kirche hatten ja auch 2000 Jahre für die Marktforschung Zeit. Jesus ist kein Abbild eines Menschensohnes, sondern eine Kunstfigur, die wahrscheinlich nach rationalen Kriterien geschaffen wurde: Jesus ist weiß, männlich, attraktiv, zwischen 14 und 49 Jahre alt - ein idealer Werbestar für die größtmögliche Zielgruppe: die Weltbevölkerung. Auch Oliver Okusluk lobt die "visuelle Kraft der Jesus-Figur". Der belgische Kunstphilosoph Thierry de Duve meint denn auch, dass die Kirche und ihre Symbole ihre beste Zeit noch vor sich haben, weil sie perfekt in die gegenwärtige "Gesellschaft des Spektakels" passen würden. Die Massenwanderung zur Papstbeerdigung und das katholische Woodstock auf dem Weltjugendtag in Köln geben ihm Recht. "Die Kreuzigung von Golgatha - was für ein Spektakel!" Und Jesus und dem Kreuz-Logo attestiert de Duve alles, "was die Werbeleute vor Neid rasen lässt."

Immer und überall

Jesus ist überall und immerdar, aber trotzdem wird er nicht zu einem vollkommen leeren Symbol. Das Gesicht des Mannes von Nazareth bleibt ein genuin positiv besetztes Symbol wie das Herz, die Blume oder der Stern, dazu kommt noch eine gewisse Anbiederung an die Authentizität und den Gefühlsreichtum der religiösen Erfahrung.

Die Verwendung von Jesus als Werbefigur sei keine Blasphemie, meinte schon Postman, denn um seinen Namen zu schänden, "müsste man Jesus erst einmal ernst nehmen". Postman bezeichnet den Vorgang als "Trivialisierung der Symbole". Die Technologie dulde keine alten Götter neben sich und mache sie deshalb mit ihren Waffen - Fernseher, Druckmaschine, Fotoshop - lächerlich. Das Problem aber ist, so Postman, dass dem Technopol das moralische Fundament der tradierten Ordnung fehle. "An dessen Stelle rückt sie Effizienz, Interesse, ökonomisches Wachstum. Sie verspricht den Himmel auf Erden durch die Annehmlichkeiten des technischen Fortschritts."

Ein beeindruckendes Beispiel für das Aufladen der Warenwelt mit Transzendenz und Sinn schildert Mark Pendergrast in seinem Buch "Für Gott, Vaterland und Coca-Cola": In den Fünfzigerjahren sei bei Firmenveranstaltungen der Brausebrauer von Coca-Cola als Höhepunkt oft eine leuchtende Cola-Flasche aufgetreten, die dann sprach: "Ich bin nicht Glas, nicht Inhalt, nicht tote Materie, für euch bin ich sprudelndes Leben und prickelnde Lebendigkeit, ich bin der Mittelpunkt eurer Arbeit, aufstrahlender Mittelpunkt." Am Ende der Zeremonie habe die Flasche verkündet: "Ich war, ich bin und ich will in aller Zukunft sein." (Der Standard/rondo/9/12/2005)