6000 Kilometer weiter nördlich sitzt Claus-Peter Zeitinger in seinem kleinen Büro in Frankfurt und betrachtet auf seinem Computer Fotos, die ihm ein Mitarbeiter in Kinshasa gerade geschickt hat: Massen vor dem Bankgebäude, lange Schlangen drinnen. Der Gründer und Aufsichtsratschef der ProCredit Holding, die Banken in 18 Ländern in Lateinamerika, Afrika und Osteuropa betreibt, strahlt. "Die Leute treten sich auf die Füße, um ihr Geld deponieren zu dürfen. Es ist so schön, das zu sehen."
ProCredit wird im Kongo vorerst nichts verdienen und auch, wenn alles gut geht, keine großen Renditen abwerfen. Aber darum geht es Zeitinger nicht. Der 58-Jährige ist der erfolgreichste Vertreter einer Bewegung, die mehr für die wirtschaftliche Entwicklung armer Länder zu leisten in der Lage ist als alle G-8- Gipfel und Prominentenkonzerte zusammen - Mikrofinanzierung für Kleingewerbetreibende. Zeitingers ProCredit ist dort tätig, wo andere Banken gar nicht hingehen - oder sich nur um Großunternehmen und die reiche Oberschicht kümmern. So etwa im Kongo, wo es bisher nur 50 Bankfilialen mit insgesamt 35.000 Konten gab - und das bei 60 Millionen EinwohnerInnen. ProCredit bietet den kleinen Leuten Zugang zu einfachen Finanzdienstleistungen und damit einen Schlüssel für ein etwas besseres Leben.
"Was wir machen, ist nicht spektakulär", sagt Zeitinger. "Es ist tägliche Knochenarbeit und ergibt keine Schlagzeilen. Aber wir hauen im Monat 55.000 neue Kreditverträge hinaus, und das berührt das Leben von entsprechend vielen Menschen." Weltweit haben ProCredit-Banken Kredite über 1,4 Milliarden Euro vergeben.
Nach und nach aber nimmt auch die Weltöffentlichkeit von ProCredit und anderen Mikrokreditbanken Notiz. Das Jahr 2005 wurde von der UNO zum "Jahr der Mikrokredite" erklärt, und immer mehr Spendengelder fließen in Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die den Armen Kleinkredite zur Verfügung stellen. Meist sind es Frauen, die Stoff zum Nähen kaufen oder Haushaltswaren, die sie am Markt weiterverkaufen. Die Kredite werden fast immer zurückgezahlt, die Ausfallraten sind trotz der Armut überraschend gering.
Dennoch schreiben die meisten dieser Banken aufgrund ihrer hohen Kosten Verluste und sind daher auf immer neue Spenden angewiesen. Das ist Zeitingers Sache nicht: Seine Banken tragen sich selbst, dank präziser Kreditanalyse und realistischer Zinssätze. Diese liegen in Osteuropa unter zehn Prozent, in Afrika meist über 50 Prozent im Jahr. Doch auch dies ist viel weniger als der lokale Pfandleiher verlangt.
NGOs
Zeitinger: "Die Welt ist voll von NGOs, die sich mit viel Eiapopeia und Slogans wie ,Wir helfen den Ärmsten der Armen' laufend Geld erbetteln und es dann wohltätig verplempern. Ich bin nicht gegen NGOs, aber aus dem Finanzbereich sollen sie sich heraushalten. Das ist ein knallhartes Geschäft, das man lernen muss."
Auf die großen Entwicklungsbanken kann Zeitinger nicht ganz verzichten: Sie sind Aktionäre bei ProCredit und finanzieren den Aufbau von neuen Banken. Aber besonders stolz ist er darauf, dass er Zugang zum freien Kapitalmarkt hat - zuletzt durch eine von der Deutschen Bank aufgelegte Anleihe über 45 Millionen Euro.
Mit Krawatte und Sakko um AnlegerInnen zu werben, dazu ist er allerdings nicht bereit, und auch sonst will er mit den Frankfurter Großbanken wenig zu tun haben. Er hält sie für einfallslos und profitgierig. Mehr Respekt hegt er für die österreichischen Banken, vor allem für Raiffeisen International, mit der er in Osteuropa konkurriert. Aber Zeitingers wahres Vorbild sind jene europäischen Sparkassen und Volksbanken, die in kleinen Ortschaften ihre Kunden kennen und sie durch gute und schlechte Zeiten begleiten. Und seine Mitarbeiter - 7000 sind es inzwischen - sollen dem altmodischen Bankbeamten entsprechen, der in den vergangenen Jahren immer mehr vom Yuppie-Banker verdrängt worden ist. "Eine Sparkasse hat immer auch etwas Langweiliges, etwas Biederes. Das suche ich auch bei meinen Mitarbeitern. Ich brauche Leute, die in 30 Jahren noch die gleiche Kreditanalyse machen. Sie müssen in der Region verwurzelt sein und jeden beim Vornamen kennen. Nur so kann man Kredite vergeben."
Die typische Kreditkundin einer ProCredit Bank - in Afrika und Lateinamerika sind es zum Großteil Frauen - hat keine Sicherheiten und keine Papiere. Die Mitarbeiterinnen - auch bei ProCredit arbeiten zumeist Frauen - müssen daher das Umfeld, den Betrieb und die Person studieren, bevor sie über den Kreditantrag entscheiden. "Das ist eine ungemein aufwändige Arbeit, und da sind wir ziemlich allein. Da tummeln sich nicht viele Mitbewerber", betont Zeitinger.
Anders als andere Mikrobanken hält Zeitinger nichts von Krediten an Gruppen, wie sie etwa die Grameen-Bank in Bangladesh vergibt. Er will, dass seine Leute jeden Kunden kennen und selbst entscheiden, wer wie viel Geld erhält.
Die Mittel für Kredite kommen zumeist aus den Spargeldern, die bei ProCredit angelegt werden. Zeitinger: "Es braucht nicht den berühmten Geldfluss von Nord nach Süd. Es fehlt vor Ort nicht an Geld, sondern an funktionierenden Institutionen und nicht korrupten Politikern."
Zeitinger kommt aus der 68er-Bewegung und hat sie emotionell auch nie verlassen. Als Experte für Finanzdienste in armen Ländern gründete er 1981 die Beratungsgesellschaft IPC, der heute rund ein Viertel der ProCredit Holding gehört. Er baute ein Sparkassensystem in Peru auf und wurde zum anerkannten Berater für Mikrokredite. 1997 gründete er seine erste eigene Bank in Bosnien-Herzegowina, 1999 war er im Kosovo nach Kriegsende der Erste vor Ort. Die dortige Bank erwies sich als Goldesel, was ihn für viele aus der Entwicklungshilfeszene suspekt macht.
Doch Zeitinger steht dazu, dass Moral und moderate Gewinne miteinander vereinbar sein müssen. Das bedeutet, dass er auch zu größeren Krediten nicht Nein sagt, wenn die Nachfrage da ist. Dennoch bleiben die ganz kleinen Summen sein Kerngeschäft. Zeitinger: "Ich bin stolz, dass meine Angestellten in El Salvador oder Bolivien auch eine halbe Stunde für jemanden verwenden, der Analphabet ist. Vom Profitgedanken her ist das unsinnig, aber darin liegt unser Doppelcharakter."