Auf der jüngsten Klimakonferenz in Montreal wurde daher - neben dem Ausbau der Wasserkraft - erstmals auch über Atomkraft als mögliche Lösung diskutiert. Großbritannien hat erst diese Woche den Ausbau der Kernenergie angekündigt. Doch auch in anderen EU-Ländern scheint die umstrittene Atomenergie vor einer Renaissance zu stehen.
32 AKW in Bau
Laut dem Reaktorexperten Helmut Böck vom Atominstitut der Österreichischen Universitäten sind heute weltweit 440 Kernkraftwerke in 31 Staaten am Netz, 32 weitere sind derzeit in Bau. Eines davon, das mit 1600 Megawatt elektrischer Leistung bisher größte, wird in Olkiluoto im Osten Finnlands errichtet.
Dieses bis 2009 fertig gestellte und rund drei Milliarden Euro teure Kernkraftwerk birgt eine gewaltige atompolitische Sprengkraft: Mit dem so genannten Europäischen Druckwasserreaktor (EPR) könnte nämlich ein rascher und einheitlicher Ausbau der Kernenergie innerhalb Europas möglich werden.
"EU-Zulassung"
"Der EPR", erklärt Helmut Böck, "ist der erste Reaktor, der vorhandenen Vorschriften und Sicherheitsstandards in den EU-Ländern entspricht." Damit besitze er quasi "eine EU-Zulassung". Gebaut wird der Reaktor vom französischen Framatome ANP, das aus der Fusion der Nuklearsparten von Siemens Deutschland und Areva Frankreich hervorging. Frankreich habe laut Böck bereits zwei EPR bewilligt (Baubeginn ab 2009).
Abgesehen von den beiden beschlossenen Reaktoren will der französische Stromgigant und AKW-Alleinbetreiber Energie de France (EdF) den EPR überhaupt in Serie bauen. Und weil Italiens Regierung den Italienern ihre Anti-Atomhaltung nicht austreiben kann, geht sie den Umweg über das Nachbarland: Der italienische Energieriese Enel beteiligt sich zu 25 Prozent am Bau der neuen EU-Druckwasser-Reaktoren in Frankreich. Da sich EdF darüber hinaus auch in die britische Stromerzeugerlandschaft eingekauft hat, wird Frankreich Großbritannien wohl zum Bau von EPR ermuntern (EdF hält gemeinsam mit Gaz de France übrigens auch 25 Prozent an der steirischen Estag). Weiters überlegen Slowenien und die Slowakei den Bau neuer AKW.
1600 Megawatt
Die Vereinheitlichung europäischer Reaktortypen macht zumindest ökonomisch Sinn: Kosten würden reduziert werden. Wobei der EPR den Betreibern wirtschaftlich ohnedies schon entgegen kommt: Seine riesige Leistung von 1600 Megawatt liegt weit über der Durchschnittskapazität bisheriger Reaktoren (900 Megawatt). Er soll einen Wirkungsgrad von 36 Prozent haben, in nur 57 Monaten erbaut sein und eine Lebensdauer von 60 Jahren erreichen. Seine Megawattstunde Strom kostet nur 30 Euro - 20 Prozent weniger als Strom aus Gaskraftwerken, zehn Prozent weniger als der aus anderen AKW.
Und die Sicherheit? Bevor der Reaktorkern schmilzt und seine radioaktive Glut aus dem Druckbehälter ausläuft, müsste laut Böck jedes der vier Kühlsysteme ausfallen, die - in vier separaten Gebäuden - selbst bei Stromausfall unabhängig von einander die gesamte Kühlung gewährleisteten. Sollte dies versagen, rette ein "Aschenbecher": Dann laufe die 2700 Grad heiße Glut in eine undurchlässige Wanne aus sechs Meter dickem Beton und Keramik, wo sie im Wasserbad abklingen soll. Tschernobyl sei auszuschließen. Und 9/11? Der EPR sei derart ummantelt, dass er "den Absturz eines Passagierflugzeugs aushält", sagt Böck.
Immer mehr Abfall
Doch das Hauptproblem bleibt: die langlebigen Spaltprodukte - angesichts bisher produzierter 350.000 Tonnen radioaktiven Abfalls keine Nebensache. Allein in der EU warten 500 Tonnen strahlenden Mülls auf Entsorgung, jährlich werden es 70 Tonnen mehr (abgesehen davon, dass die geschätzten Uranreserven, gerechnet für die heutigen 440 Reaktoren, nur noch rund 70 Jahre reichen sollen).